Verteidigungsrede von Aitak aus Frankfurt vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main vom 01.04.2025. Einen Bericht zum Urteil dieses Prozesses, das am 29.04.2025 verkündet wurde, findet ihr hier auf dem Instagram-Profil von Free Palestine Frankfurt.
I. Einleitung
Ich werde beschuldigt,
1. durch Äußerungen am 13.10.2023 den Hamas-Angriff vom 7.10.2023 gebilligt zu haben (§ 140 StGB) und
2. eine verbotene Versammlung am 14.10.2023 durchgeführt zu haben (§ 25 Abs. 2 Nr. 4 HVersG i.V.m. § 140 StGB).
Meine Damen und Herren, sehr geehrte StA, geehrtes Gericht,
ich stehe heute vor Gericht, weil ich nicht näher konkretisierte Straftaten gebilligt haben soll und eine verbotene Demonstration durchgeführt haben soll. Beide Vorwürfe entbehren nicht nur jeder Grundlage und sind ohne besondere Mühe seitens der StA gegen mich erhoben worden, sondern können von mir nur als Hohn und Spott gegenüber meiner mittlerweile Jahrzehnte währenden ehrenamtlichen Engagements für die Verbesserung der sozialen Bedingungen in diesem Land einerseits und des sozialen Miteinanders andererseits verstanden werden. Seit Anfang der Neunziger setze ich mich gegen Hass und Gewalt, gegen Rassismus, Faschismus, für Völkerverständigung, für gegenseitiges Verständnis und für Dialogfähigkeit ein. Dabei war es mir schon immer ein Anliegen, sachlich zu argumentieren, den Diskurs zu fördern und zugleich parteiisch auf der Seite derjenigen zu stehen, die ihrer Rechte beraubt und angegriffen werden, ganz gleich ob durch Behörden oder durch menschenverachtende Haltungen in der Gesellschaft.
In den verschiedensten Bereichen habe ich mich dafür stark gemacht, die eigenen Rechte zu kennen und die Grundrechte zu verteidigen. Die Art und Weise, wie aber in den letzten Jahren, unsere Grundrechte angegriffen werden, ist meines Erachtens Grund genug, sich Sorgen über Deutschland zu machen. Auch mein Prozess ist ein weiteres Beispiel für die sich ausweitende exekutive Gewalt.
Am 13.10.23 wollte ich mit den Freundinnen und Freunden, die wir gemeinsam für Gaza und für Palästina eine Demonstration angemeldet hatten, eine Pressekonferenz im A&O Hostel im Frankfurter Stadtteil Gallus abhalten und zwar, weil die Demonstration bis dahin noch verboten war. Nach der Pressekonferenz sollte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt zur Aufhebung des Verbots kommen.
Die Abhaltung der Pressekonferenz wurde, entgegen der im Polizeibericht (Hauptakte S.33 ff) gemachten Aussage, nicht einfach vom A&O-Hostel, sondern auf Druck der Polizei vor Ort, verhindert. Dabei tauchte die Polizei mit einer völlig unangemessenen Menge an Polizeikräften (ich vermute etwa eine Hundertschaft) und einer Hundestaffel an und verwehrte uns den Zugang zum Hostel und verweigerte einen Dialog mit uns. Sie drohte sofort mit Platzverweisen, wenn wir uns nicht an Anweisungen hielten. Daraufhin, also mit offensichtlich massivem Einsatz von Repressionsmittel, wurde die Nutzung der Räumlichkeit trotz Buchung abgesagt. Die geplante Pressekonferenz musste dann auf offener Straße, aber bewusst in einer etwas Verkehrsberuhigteren Zone, durchgeführt werden.
Nach kurzen Ausführungen wurde ich schon verhaftet und in Gewahrsam genommen. Am nächsten Tag wurde das Verbot der Demonstration doch noch von der höhren Instanz, dem VGH Kassel, bestätigt. Die Nachricht erreichte uns kurze Zeit vor Beginn der Demonstration. Viele Menschen, die zur Demonstration wollten, befanden sich schon in der Innenstadt, so auch ich.
Nachdem ich aber von der Entscheidung aus Kassel erfuhr, begab ich mich nicht mehr zum Ort der Kundgebung und machte auch keine Anstalten, eine Demonstration durchzuführen.
Hierzu will ich sagen, dass diese Demonstration die erste Demonstration war, die ich angemeldet hatte und die verboten wurde und die ich leider vor Gericht nicht abwenden konnte. Es ist nicht nur für mich, sondern auch für viele Menschen ein Schock gewesen, dass ein Gericht in Hessen zum ersten Mal der Versammlungsbehörde folgte. Das war bestimmt der durch Presse und Regierungsvertreter und politische Lobbyisten angeheizten Stimmung geschuldet. In dieser etwa einen Monat andauernden Phase wurde sogar eine von mir angemeldete Kundgebung zum Gedenken an die Novemberpogrome am 9. November 2023 verboten. Etwa anderthalb Monate später gab es wieder eine etwas andere Stimmung und seitdem wurde auch auf VGH-Ebene entschieden, dass ich Demonstrationen abhalten konnte. Nun stehe ich etwa anderthalb Jahre später für etwas vor Gericht, was meiner Ansicht nach, eher einem politischen als einem strafrechtlichen Prozess gleichkommt.
Die StA als Teil der Exekutive beantragte beim Amtsgericht Frankfurt im Dezember 2023 die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens mit den oben angeführten Vorwürfen.
- Antrag der StA auf ein beschleunigtes Verfahren
Dies wurde vom Amtsgericht abgelehnt.
In einem Schreiben der StA vom 29.12.2023, das auf Seite 70 der Hauptakte zu finden ist, beschwert sich die StA über diese Entscheidung des Amtsgerichts.
Die StA schreibt darin:
„Der durch das Gericht geäußerten Rechtsauffassung wird entschieden entgegengetreten, da die Regelungen zum beschleunigten Verfahren §(417 ff StPO) keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Straftatbestände beinhaltet. Gemäß § 417 StPO ist ausschließlich erforderlich, dass dem Verfahren ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage zugrunde liegt. Beide Voraussetzungen sind hier gegeben.“ Erläuterung
Weiter
„Aus rechtsstaatlicher Sicht soll das beschleunigte Verfahren insbesondere dazu dienen, einen schnellen Abschluss des Verfahrens herbeizuführen, wenn dies aufgrund der äußeren Umstände dringend geboten ist. Im vorliegenden Verfahren ist die besondere Beschleunigung alleine deshalb geboten, weil die Angeschuldigte auch weiterhin auf vergleichbaren Veranstaltungen auftritt und zu erwarten steht, dass weitere strafbare Handlungen durch sie begangen werden könnten. Eine schnelle Reaktion der Strafverfolgungsbehörden und eine schnelle Verhandlung in der Hauptsache sind daher unerlässlich.“
Die StA spricht hier von einer „rechtsstaatlichen Sicht“. Das ist interessant und wirft Fragen nach dem Verständnis der StA hinsichtlich rechtsstaatlicher Prinzipien auf.
Die StA selbst ist Teil der exekutiven Gewalt und scheint den Rechtsstaat als solchen mit der eigenen Stellung zu verwechseln. Hier noch einmal für Sie als Erinnerung: Rechtsstaatlichkeit bezieht sich auf die Gewaltenteilung und da gibt es durchaus zwei weitere Gewalten, nämlich die Rechtsprechung (Judikative) und die Gesetzgebung (Legislative).
Die Parteilichkeit der Exekutive ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass die jeweilige Regierung, die auf 4 Jahre auf Bundesebene bzw. 5 Jahre auf Landesebene gewählt wird, aus Parteien besteht, die eindeutige politische Färbungen haben. Gerade um zu verhindern, dass die Exekutive ihre Macht missbraucht, gibt es die Gewaltenteilung. Das sollte nicht in den Einführungsseminaren in juristischen Fakultäten, sondern schon früher, nämlich auf Abiturlevel verstanden sein.
Die StA hat hier aber in einem politisch brisanten Verfahren, wo es um – wie es viele bürgerliche Medien hinstellen – ein „komplizierten Konflikt“ geht, der immerhin seit etwa 80 Jahren nicht gelöst werden konnte und wo sie kaum Beweise, außer einen einzigen Satz und ein paar sich widersprechende Polizeiberichte vorgelegt hat und wohlweislich genau das Gegenteil vom § 417 StPO, nämlich Einfachheit des Sachverhalts und klare Beweislage, verlangt wird, – verlangt dass das Verfahren schnell entschieden werden müsste und liefert noch die Begründung hinterher, die sehr viel über ihre politische Motivation aussagt. In kurz: man müsse dieser Person endlich den Mund verbieten und das wiederum sei dringend geboten. Das ist die Quintessenz des Inhalts des Schreibens der StA, in dem sie sich über die Ablehnung des Gerichts beschwert.
Das Amtsgericht hatte wie folgt die Zurückweisung des Antrags der StA auf ein beschleunigtes Verfahren begründet (S.83 Hauptakte):
„Der Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens vom 04.12.2023 war zurückzuweisen, da sich das Verfahren weder aufgrund der Einfachheit des Sachverhalts (es geht im Weiteren um einen internationalen Konflikt mit weitreichender historischer, gesellschaftlicher und politischer Bedeutung) noch des Umfangs der Beweisaufnahme (es sind mehrere Videos in Augenschein zu nehmen und weitere Beweismittel einzuführen) für ein Vorgehen gemäß §§ 417 StPO eignet.“ (Hauptakte S.83)
Das Amtsgericht sieht also nicht wie die StA, dass es sich hierbei um einen „einfachen Sachverhalt handelt“ und auch nicht, dass die Beweislage so klar ist.
Im Laufe der Verhandlung gilt es herauszufinden, ob sich der Sachverhalt, der besonders in seiner deutschen Rezeption tatsächlich kompliziert ist, aufschlüsseln lässt und ob sich die Beweislage gegen meine Person in irgendeiner Weise verbessert hat oder gar gezeigt werden kann, dass das Verfahren wegen mangelnder und sich widersprechender Beweise besser eingestellt werden sollte.
- Zu den Anforderungen an die Anklageschrift nach § 200 StPO
Im § 200 StPO heißt es: „Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz).“ Wie das genau auszusehen hat und welches Maß an Konkretisierung erforderlich ist, dazu gibt es einige Hinweise in der Rechtsprechung.
Beschluss BGH vom 16.08.2018 – Aktenzeichen 4 StR 200/18
„aa) Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist. Diese muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Angeschuldigten unterscheiden lassen; fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam (vgl. BGH, Urteile vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88 , 91; vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NStZ 2010, 159 , 160; vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44 , 45; Beschluss vom 29. November 1994 – 4 StR 648/94, NStZ 1995, 245 ; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 61. Aufl., § 200 Rn. 7). Wann eine Tat als historisches Ereignis hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls bestimmt werden (BGH, Beschlüsse vom 26. April 2017 – 2 StR 242/16, wistra 2018, 49 , 50; vom 27. Februar 2018 – 2 StR 390/17, juris Rn. 18; KK-StPO/Schneider, 7. Aufl., § 200 Rn. 3). Die Schilderung muss allerdings umso konkreter sein, je größer die Möglichkeit ist, dass der Angeschuldigte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 1993 – 4 StR 288/93, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 4; vom 11. Mai 1994 – 2 StR 171/94, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 7; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 200 Rn. 7; MüKo-StPO/Wenske, § 200 Rn. 19).“[1]
Wird die hier von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Anklageschrift diesen Anforderungen gerecht? In der Anklageschrift heißt es: „eine der in § 126 Absatz 1 des Strafgesetzbuches genannten rechtswidrigen Taten, namentlich Straftaten gegen das Leben“, die ich gebilligt haben soll. Im genannten Absatz des § 126 werden 8 Punkte aufgeführt, die je mehrere weitere Bezüge auf andere §§ beinhalten, darunter sehr viele Straftaten gegen das Leben.
Muss die StA nicht benennen, welche Straftat gegen das Leben, sie spricht von „einer Straftat“ von mir gebilligt worden sein soll? Geht sie davon aus, dass es keiner Benennung mindestens einer tatsächlichen Straftat bedarf? Geht die StA davon aus, dass alle Beteiligten am 13.10.2023 so gut informiert sein konnten, dass es ohne konkrete Angaben von bekannten Taten klar gewesen sein könnte, welche Tat von mir konkret gebilligt wurde? Reicht es, wenn die StA ihre Annahmen auf offensichtlich einseitige Berichterstattung oder zumindest Berichterstattung der einen Seite begrenzt?
Ist es etwa nicht erforderlich, dass die Taten, die gebilligt worden sein sollen nachgewiesenermaßen auch in der Weise bekannt sein müssen, dass Täter, Opfer und Tathergang allen Beteiligten bei der Pressekonferenz hätte bekannt sein müssen? Wenn die StA davon ausgegangen ist, dass die Informationslage so gut war und einzelne Straftaten so genau zu bezeichnen gewesen sind, warum hat sie von einer Konkretisierung abgesehen? Sie hätte z.B. eine Straftat, wie z.B. Geiselnahmen, herausgreifen können und diese als konkret gebilligte Straftat benennen können.
Ungeachtet dessen, dass sogar bei einer solchen Konkretisierung der Straftaten, die ich angeblich gebilligt haben soll und der Erbringung des Nachweises der gebilligten Taten, hier trotzdem kein Billigungsdelikt vorliegt, beantrage ich die Überprüfung durch das Gericht. Es soll überprüft werden, ob die Anklageschrift einer Nachbesserung bedarf oder sogar verworfen werden muss, da sie den formalen und üblichen Anforderungen nicht entspricht.
Es sei hiermit darauf hingewiesen, dass ähnliche Anforderungen an die Urteilsbegründung der Gerichte gestellt werden.
II. Zu Anklagepunkt 1 (§ 140 StGB – Billigung von Straftaten)
Zusammenfassend sei an den Anfang gestellt:
Wir haben gesehen, dass die StA weder benennt, welche Straftat ich genau gebilligt haben soll noch die Faktenlage ausreicht, um genau sagen zu können, welche Straftaten tatsächlich am 7.Oktober von wem ausgeübt wurden, (auf die bleibenden Ausnahmen gehe ich unten genauer ein). Noch kann die StA in Ihrer Anklageschrift und durch ihre Beweise zeigen, dass es sich bei meiner von ihr zur Anklage gebrachten Aussage um eine Billigung dieser Taten gehandelt hat, da die Wortwahl und der Kontext der Aussagen nicht als Billigung von konkreten Taten, sondern entweder als politische Einschätzung explizit der einen Sache, die genannt wird, also dem Ausbrechen aus dem Freiluftgefängnis und/oder als eine Einschätzung des größeren Kontextes zu verstehen ist. Des Weiteren und schlussendlich kann die StA nicht glaubhaft machen, dass es sich bei dieser Aussage um eine Art Aussage handelt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören.
Subsumtion:
§ 140 Strafgesetzbuch, Nummer 2:
Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Absatz 1 oder nach den §§ 176c und 176d
2.
in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Die angeblich gebilligten Straftaten müssen tatsächlich und nachgewiesenermaßen stattgefunden haben oder ihre Verwirklichung angestrebt worden sein. Damit eine vorsätzliche Billigung, also Vorsatz, vorausgesetzt werden kann, ist es geboten, dass die gebilligten Taten nicht nur angenommenerweise oder vermutlich, sondern tatsächlich stattgefunden haben müssen. Gerade dann, wenn – wie in meinem Fall -, die Straftaten die gebilligt worden sein sollen, nicht von mir genannt, sondern impliziert worden sein sollen, muss der Grad der allgemeinen Klarheit zum Tatzeitpunkt der Billigung so hoch gewesen sein, dass es des Nachweises ihrer Tatsächlichkeit nicht mehr bedurfte, jedoch wiederum, – wie oben angeführt – die StA nicht von der Nennung der konkreten Straftaten entbindet.
Die StA verzichtet aber vollends auf Nennung und Nachweis auch nur einer konkreten Straftat, genauso verzichtet sie darauf, näher auszuführen, ob und in welcher Weise der Öffentlichkeit und mir zum Tatzeitpunkt, also knapp sechs Tage nach dem Geschehen, die Taten, die mit dem 7.Oktober 2023 in Verbindung gebracht wurden, hätten hinlänglich bekannt sein müssen und auch als korrekte Informationen akzeptiert sein müssen.
Im Zusammenhang mit der von der StA zitierten Aussage, die mir zur Last gelegt wird, gehe ich explizit darauf ein, dass es zum gegebenen Zeitpunkt nicht möglich ist, genau zu wissen, was passiert ist. Es ergibt sich unmissverständlich aus meiner Presseerklärung, dass es mir um eine politische Einschätzung der Ereignisse des 7.Oktober und nicht um die Bewertung einzelner Vorfälle oder Taten geht. Ich reflektiere sozusagen, dass es mir nicht möglich war, über konkrete Geschehnisse, Täter und Opfer, Art der Straftaten etc. etwas zu äußern und kritisiere die Presse für ihre unkritische Haltung und einseitige Stimmungsmache bezüglich der Ereignisse des 7.Oktober. Auch wird implizit deutlich, dass ich mich gegen den immensen Druck der Repressionsorgane und der Presse, die mich unbedingt zu einer Äußerung zum Tatgeschehen zu treiben beabsichtigte, wehre.
Verweis auf die Verschriftlichung meiner mündlichen Aussagen (Hauptakte S.18)
Weder ist es angemessen, über etwas zu urteilen, was ich nicht gesagt habe und nicht einmal impliziert haben kann, weil ich in der selben Pressekonferenz explizit auf die schlechte Informationslage eingehe und die Presse dafür kritisiere, dass sie sich nicht kritisch mit den Berichten auseinandersetze. Heute, knapp anderthalb Jahre nach dem Geschehen, wissen wir wie viele der Berichte nicht nur falsch waren, sondern auch dass viele Tote – wie viele genau wissen wir bis heute nicht – auf die von der israelischen Armee aktivierten so genannten Hannibal-Doktrin, also auf israelischen Beschuss zurückgehen.
Im Gegensatz zur Presse, Polizei und StA war meine Einschätzung der Lage, nämlich dass es sich dabei um einen Informationskrieg handelt, näher an der Realität. Das sieht man an der Korrektur vieler Informationen im Nachhinein und auch daran, dass Israel bis heute eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Ereignisse des 7.Oktober verweigert und verhindert. Ob das heute überhaupt noch möglich sein wird, eine umfassende Analyse zu machen, ist eine andere Frage, die ich nicht beurteilen kann.
Also zur Klarheit noch einmal: der § 140 verlangt die Billigung einer Straftat, dessen Nennung die StA in ihrer Anklageschrift schuldig geblieben ist. Wie soll auch die StA etwas nennen, was nicht als Tatsache eindeutig bekannt und anerkannt ist – und zwar von unabhängiger Seite? Die StA müsste auch nachweisen, wer die Täter und wer die Opfer sind. Auch das ist bis heute unbekannt: weder wissen wir genau wieviele Menschen ums Leben gekommen sind noch wissen wir wer wen umgebracht hat noch wer in welcher Funktion als Täter oder Opfer anzusehen ist, also ob als Kombattant oder als völkerrechtlich anerkannte Zivilperson. Von den zunächst von israelischer Seite mit 1400 Toten blieben nach einem Monat durch israelische Korrekturen etwa 1200 Tote übrig und scheinen mittlerweile eine Zahl um 900 übrig zu sein.[2]
Bleiben wir bei den Tatsachen, die bekannt sind und niemand leugnen kann und leugnen sollte, dann bleiben 251 Geiseln[3].
Bei der Pressekonferenz blieb wurde mir nicht mehr die Gelegenheit zuteil, mich zum Thema „Geiselnahmen“ zu äußern. Ich werde heute vor Gericht eine Einlassung dazu machen, damit es diesbezüglich keine Unklarheiten gibt. Auch zum Zeitpunkt der Pressekonferenz wäre meine Haltung nicht anders gewesen.
Zum Zwecke der Einhaltung der Systematik werde ich das Thema weiter unten behandeln.
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Um eine Aussage unter den § 140 zu subsumieren, ist der objektive Sinngehalt einer Aussage im Lichte des politischen und informationellen Kontextes zu untersuchen und die spezifischen Bedingungen und Umstände zu ermitteln, unter denen die Aussage getätigt wurde. (24 Cs 806 Js 35924/23 AG Mannheim)
Der objektive Sinngehalt meiner Aussage ist eindeutig und explizit eingeschränkt und als allgemeine politische Einschätzung und historischen Einordnung zu verstehen. Die Einschränkung erfolgte durch meine Aussagen zur unklaren Informationslage über Straftaten. Der politische und informationelle Kontext kann nur aus Sicht eines Publikums gewertet werden, der durchschnittlich gebildet und informiert ist. Das wiederum wirft die Frage nach der zur Verfügung stehenden Informationsquellen auf, die ich weiter unten behandele. Es ist hinsichtlich der Rezipienten meiner Aussage jedoch insgesamt von einem Durchschnittspublikum auszugehen, der hinsichtlich der Interessiertheit für das Thema ‚Palästina‘ in Deutschland eine Minderheit darstellt. Auch verlangt der § 140, dass die Aussage öffentlich getätigt sein muss.
Zur Frage der öffentlichen Tätigung einer Aussage
Zu den spezifischen Umständen und Bedingungen der Äußerung ist folgendes zu sagen: Der Kontext meiner Aussage war erstens nicht als Kundgebung bzw. als „öffentlich“ zu werten. Hätte die Polizei nicht den angemieteten Raum im A&O-Hostel kurzerhand gecancelt, hätte die Pressekonferenz in geschlossenen Räumen stattgefunden in Anwesenheit einer Handvoll Pressevertretern.
Zweitens ist von einer künstlich erzeugten Inszenierung einer Öffentlichkeit und damit einhergehenden Gefährdungslage seitens der Exekutivorgane zu sprechen, die zum Zwecke der bewussten Kriminalisierung meiner Aussage hergestellt wurde.
Trotz der hergestellten Öffentlichkeit durch Presse und Polizei hat nicht der Inhalt meiner Aussagen dazu als geeignet erwiesen, den öffentlichen Frieden zu stören, sondern wenn überhaupt die Art und Weise des repressiven und hysterischen Umgangs von Polizei und Presse. Darauf werde ich weiter unten eingehen wie auch auf die Frage nach dem vorausgesetzten verständigen Durchschnittspublikum.
Objektiver Sinngehalt meiner Aussage
Kommen wir also zum objektiven Sinngehalt meiner Aussage: Die Aussage teile ich zwecks Untersuchung in Teile auf. Zuerst behandele ich die Aussage, dass es sich beim „Ausbrechen aus dem Freiluftgefängnis um eine gelungene Widerstandsaktion“ gehandelt habe und dann die Aussage, dass es sich dabei nicht um einen „Terrorangriff“ gehandelt habe.
Mit der Aussage, dass das Ausbrechen aus dem Freiluftgefängnis in Gaza am 7.Oktober 2023 um eine gelungene Widerstandsaktion handelte, bezog ich mich im Kontext meiner allgemeinen politischen Analyse und Sichtweise auf den Kern der Ereignisse am 7.10.23 und beabsichtigte damit, einen Fokus auf historisch-politischen Kontext zu gewährleisten, nämlich, dass die gut sechzehn Jahre andauernde Blockade Gazas durchbrochen worden ist. Das Objekt meiner Beurteilung ist in diesem zur Anklage gebrachten Satz eindeutig benannt und entsprechend nicht fehlzuinterpretieren und auch nicht beliebig auszuweiten. Es handelt sich dabei um das „Ausbrechen aus dem Freiluftgefängnis“ und nichts anderes. Als Billigung wertet die Staatsanwaltschaft die Aussage „gelungene Widerstandsaktion“ vielleicht, weil es ihrer Ansicht eine Art Legitimierung aller Handlungen am 7.Oktober gleichkommt.
Genau genommen verhält es sich aber wie folgt:
Dass die Aktion, die Mauern in Gaza zu durchbrechen, gelungen ist, daran sollte kein Zweifel herrschen und ist eine reine Beschreibung der Abläufe. Dass es sich in Gaza um ein Freiluftgefängnis handelt, ist keine von mir erfundene Beschreibung, sondern eine von Menschenrechtsorganisationen benutzte Formel, um die existenziell bedrohliche humanitäre Lage für die Menschen in Gaza zu beschreiben[4].
Das Wort „Widerstand“ scheint für die StA jedoch den Tatbestand der Billigung ausreichend zu erfüllen. Ich vermute, das ist der Fall, weil es in dem Sinne eine Bewertung in den Augen der StA ist, denn es beinhaltet, dass es so etwas wie einen Usurpator, Unterdrücker, in diesem Fall Besatzungsmacht, geben muss, wogegen Widerstand geleistet wird und damit dieser Widerstand gewissermaßen als legitimiert erscheint. Dass es sich bei allen Organisationen in Gaza um Widerstandskräfte gegen die Besatzung handelt, ist eine politische Position, eine Meinung, die die Staatsanwaltschaft nicht und auch nicht das Gericht teilen muss. Das ist meine Meinung und das kann ich kurz und knapp begründen, genauso wie ich es kurz vor meiner Festnahme bei der Pressekonferenz erklärt habe,- was wiederum die Tatsache deutlich macht, dass es sich dabei um eine politische und historische Einschätzung und nicht im Sinne von Bejubeln einzelner zu diesem Zeitpunkt ungeklärter Taten gehandelt hat.
Zum Hintergrund meiner politischen Einschätzung:
Die militärische Besatzung Palästinas findet 1948 nach der Empfehlung der UNO zur Teilung Palästinas statt. Diese Empfehlung wurde 1947 ausgesprochen und war, meiner Ansicht nach, seinem Inhalt nach völkerrechtlich ein Verstoß gegen internationales Recht. Wer das anders sieht, müsste aus dem Völkerrecht zitieren und zeigen können, dass es legitim sei, das größere Teil eines Landes entgegen dem Willen der einheimischen Bevölkerung, an eine politische Organisation zu übergeben, die – wiederum ohne jegliches Mandat – die Vertretung von Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen für sich in Anspruch nahm. Ob überhaupt den Vereinten Nationen mit 57 Mitgliedsstaaten, davon einige selbst Kolonialherrenländer, zu dieser Zeit die materielle Legitimität zukommen konnte, über das Schicksal anderer Nationen zu urteilen, ist eine Frage, die wir hier nicht behandeln können. Aber ich wage diese Legitimität infrage zu stellen. Nur als Vergleich: heute haben wir es mit 193 Staaten zu tun.
Die gewaltsame Besatzung Palästinas 1947/48 war ein völkerrechtlich illegaler Akt der Besatzung zum Zwecke der Kolonisierung, genauer der Besiedlung Palästinas durch die zionistischen Organisationen, die sich der offenen Unterstützung imperialistischer Mächte erfreuten und militärisch aufgerüstet waren und sich Milizen bereithielten, die auch in wissenschaftlichen Arbeiten als terroristische Organisationen bezeichnet werden, wie die Irgun und die Hagana. Die einheimische Bevölkerung sollte durch diese Terrormilizen vertrieben oder vernichtet werden. Das geschah in der so genannten Nakba – deutsch: Katastrophe – wo bis zu 800 000 Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Die einseitige Ausrufung eines Staates nach gewaltsamer Vertreibung der einheimischen Bevölkerung auf besetztem Gebiet, schafft keine Legalität nach dem Völkerrecht.
Seit 1948 hat es gegen diesen ungerechten Zustand seitens der einheimischen Bevölkerung in Palästina Widerstand gegeben und gibt es bis heute.
Die Sachlage ist an sich genommen, weder kompliziert noch unverständlich. Abgesehen aber von der Frage der Kompliziertheit, ist es durchaus so, dass der so genannte ‚Nahost-Konflikt‘ in seiner Rezeption, Darstellung, Behandlung von einer Vielzahl von verschiedenen Interessen und Narrativen geprägt ist, die – wie es das Amtsgericht in seiner Begründung der Ablehnung des Antrages der StA bezüglich der Durchführung eines Schnellverfahrens formulierte, – eine Verkomplizierung der Thematik mit sich bringen. Meine Notizen für meine Presserklärung am 13.10.23 zeugen von einem hohen Bewusstsein über diese in hohem Maße diffizilen thematischen Verwicklung und Überschneidungen mit anderen Themen. Das Ziel der Pressekonferenz war es, in einem ruhigen Rahmen, die unterschiedlichen Sichtweisen, vor allem unsere, also die mit dem Befreiungskampf des palästinensischen Volkes solidarischen Menschen in Deutschland, darzulegen.
Meiner Ansicht nach ist meine Sichtweise und die mit ihr einhergehende Sicht, dass es legitim sei, sich gegen Besatzung, Unrecht, Vertreibung, Massenmord und unzählige weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu wehren –sowohl völkerrechtlich wie auch verfassungsrechtlich, entsprechend Artikel 5 des Grundgesetzes der BRD geschützt.
Wo ist nun die Grenze zwischen Billigung und Meinungsäußerung? Das ist zugegebenermaßen durch den § 140 nicht eindeutig definiert und entsprechend kann dieser Paragraph als Instrument gegen das Gut der freien Meinungsäußerung seitens der Exekutive genutzt werden und wird auch als ein solches Instrument genutzt. Die Judikative muss hier als Korrektiv auftreten und den Missbrauch des § 140 Schranken setzen.
In meinem Fall ist die Sache jedoch nicht so schwierig zu handhaben: Was ich mit meiner von der StA zur Anklage gebrachten Aussage eindeutig und unmissverständlich sage ist, dass der Widerstand es geschafft hat, das Freiluftgefängnis, die Hochsicherheitsmauer, den Sicherheitszaun und damit die seit 2006 gegen Gaza verhängte Blockade zu durchbrechen und ordne diesen Akt als eine gelungene Aktion des Widerstandes ein. Nicht mehr und nicht weniger.
Meine Aussage ist sowohl von ihrem Inhalt als auch durch ihre explizite Darbietung und Kontextualisierung und Einschränkung als eine politische Einschätzung und historischen Einordnung und als sachlicher Vortrag zu verstehen.
Ich verweise hier noch einmal auf meine Notizen für die Pressekonferenz.
Zur Bezeichnung „Terror“
Eine Klassifizierung von Widerstandsorganisationen und -Gruppen im Kontext antikolonialer Kämpfe als „Terrororganisationen“ seitens der Kolonialherrenländer und ihrer Verbündeten ist nichts Neues. Genauso ist es nichts Neues und auch nicht erstaunlich, dass eine Delegitimierung und Kriminalisierung von Widerstandsaktionen und Notwehrreaktionen seitens der Opfer von Besatzung und Kolonisierung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, seitens der Besatzer und ihrer Verbündeten durch die Bezeichnung und Einstufung dieser Aktionen als „Terror“ stattfindet.
Die Tatsache, dass es bis heute keine gemeinsame Erklärung der UN-Vollversammlung gibt, ist ein starkes Indiz dafür, dass es keine Einigung über die Definition und Anwendungsbereich dieser Bezeichnung gibt. Das ist, meiner Ansicht nach, auch nicht überraschend.
Meine Aussage am 13.10.23 hinsichtlich der Nutzung dieses Begriffes ist klar dokumentiert: ich ordne die Volkswiderstandskräfte ein und weise eine Zuschreibung hinsichtlich ihrer Organisationen und Aktionen als Terror zurück.
Nun: sowohl die StA als auch das Gericht als auch die Presse und auch die Mehrheit in Deutschland können diesbezüglich eine andere Meinung vertreten. Das, worüber wir hier heute verhandeln, ist nicht die Frage, ob ich diese Meinung vertreten kann, darf oder nicht. Vielmehr ist es eine Frage der Beurteilung des Charakters dieser Aussage und ob diese Aussage geeignet war, unter dem § 140 subsumiert zu werden. Meiner Ansicht nach ist das nicht der Fall. Denn meine Aussage beinhaltet nicht, dass z.B. einzelne Taten am 7.10. nicht als Straftaten zu werten sind und entsprechend zu verurteilen oder zu verfolgen wären, sondern dass ihre Kategorisierung als „Terror“ politisch motiviert und meiner Ansicht nach falsch ist. Dem Gericht kommt nun die Aufgabe zu, diese Unterscheidung sehr ernst zu nehmen, da es sich dabei genau um die potentielle Kollision von Rechtsgütern mit Verfassungsrang und anderen ohne einen solchen Rang geht. Also konkret um die Abwägung zwischen dem hohen Gut der freien Meinungsäußerung nach Artikel 4 GG und dem § 140 StGB Nummer 2 als Äußerungsdelikt. Auf diese Abwägungserfordernis gehe ich weiter unten genauer ein.
Möglicher implizierter Bezug auf Straftat „Geiselnahme“
Geiselnahmen sind nach dem Völkerrecht Straftaten. Ganz gleich mit welchen Motiven und in welchem Kontext, ist die Geiselnahme von Zivilisten als solches eine strafbare Handlung. Mit den am 7.Oktober durchgeführten Geiselnahmen vergleichbare Fälle hat es auch in anderen antikolonialen Kämpfen oder von Partisanen gegen die deutsche Besatzungsmacht gegeben. Die Bewertung dieser Taten ist stets als illegal, wenngleich nicht immer als moralisch verwerflich, beurteilt worden, wobei zwischen der juristischen und politischen Bewertung zu unterscheiden wäre und wie soll es auch anders sein, die politische Bewertung je nach politischer Positionierung unterschiedlich ausfällt.
Dass ich am 13.10.2025 kein Wort über die Geiselnahmen verliere, ist vielleicht für die StA oder sogar für das Gericht ein Indiz dafür, dass ich diese durch meine Aussage zur gelungenen Widerstandsaktion implizit gebilligt habe. Wäre es dann nicht angebracht gewesen, sich wenigstens in der Anklageschrift hierzu zu äußern und mir die Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren? Die StA hätte, um ihre Anschuldigung korrekt zu formulieren, die gebilligte Straftat benennen müssen. Ich kann nur Vermutungen darüber anstellen, warum sie es nicht getan hat.
Zu den Geiselnahmen kann gesagt werden, dass das Völkerrecht einen Unterschied zwischen Zivilisten und Kombattanten macht, dabei sind auch die nicht-bewaffneten Kombattanten als Zivilisten zu werten. Wie es mit bewaffneten Siedlern ist, kann ich nicht einschätzen.
Hätte ich am 13.10.2023 viel mehr zu Geiselnahmen sagen können oder gesagt, wenn mir die Gelegenheit dazu gegeben worden wäre? Da ich leider erstens durch die Presse massiv unter Druck gesetzt wurde zum „Terror der Hamas“, zu den „geschändeten Leichen“ oder den „geköpften Babies“ etwas zu sagen und zweitens einfach durch exekutive Gewalt physisch entfernt wurde, indem die Polizei mich verhaftete und in Gewahrsam nahm, hatte ich dazu nicht einmal die Gelegenheit. Aber ja, ich hätte mich zu den Geiselnahmen geäußert, und zwar genauso sachlich und mit der Absicht einer politischen Einschätzung, wie ich es jetzt tun werde.
Grundsätzlich möchte ich mich zu den Geiselnahmen am 7.Oktober insofern einlassen, dass ich die Verletzung der Rechte auf Leben und Unversehrtheit aller unbeteiligten Personen, ganz besonders von Minderjährigen, in einem Kriegsgebiet – und nichts anderes ist das besetzte Palästina – als moralisch bedauernswert und menschlich erschütternd empfinde. Ein solches Empfinden sollte aber nicht die Fähigkeit zu differenzieren, die Zusammenhänge und den Kontext einzubeziehen und sachlich zu urteilen, einschränken. So ist die Blockade in Gaza und die regelmäßige Bombardierung der über 2 Millionen Menschen, davon die Mehrheit Kinder und Jugendliche und die gezielte Tötung und Verletzung von Menschen durch Scharfschützen, als Kontext des Geschehens einzubeziehen, der nur durch politische Vertuschungsabsicht verschwiegen werden kann. Diese Kontextualisierung kommt mitnichten einer Relativierung des individuellen Leids von Opfern auf allen Seiten gleich. Es muss möglich sein, über diesen Kontext zu sprechen. Dass das aber hierzulande Gegenstand von Strafprozessen statt eines öffentlichen politischen Diskurses ist, ist in hohem Maße besorgniserregend, – nicht zuletzt, weil es auf die politische Haltung der Exekutivorgane und deren Billigung der völkerrechtswidrigen Besatzung Palästinas und ihrer unzähligen Straftaten hinweist. Aber auch dieser Kontext wird mich nicht veranlassen, mich über Verletzung von Menschenrechten, Vernichtung von Leben oder welche Art von Verletzungen der Würde oder der physischen Unversehrtheit von wem auch immer zu erfreuen. Wer, wie ich, moralische Standards als die Bedingung für die eigene Würde ansieht, wird sich in keinem Fall, auch nicht im Falle des Leides von Tätern, erfreuen. Es ist moralisch abscheulich, Freude über das Leid anderer Menschen und seien sie so sehr mit Schuld geladen, zu äußern. Wenn Opfer sich an ihren Tätern rächen, dann ist das ein Ausdruck der Gesamttragödie, die sich durch die Verbrechen der Täter eingestellt hat. Und auch diese Fragen müssen erörtert werden können. Sie können aber nicht erörtert werden, wenn nicht der größere Zusammenhang, das heißt sowohl der historische Kontext, aber auch die allgemeine Täterschaft in einem größeren politischen Konfliktfeld, das mittlerweile seit einem Jahrhundert andauert, müssen einbezogen werden. Das wiederum bedeutet, dass eine konkrete Straftat zu einem bestimmten Zeitpunkt nur verstanden und auch beurteilt werden kann, nur bei Einbeziehung der gegebenen Machtkonstellationen und den damit zusammenhängenden Verhältnissen. Gerade wer Geiselnahmen ablehnt, sollte verstehen wollen, welche Umstände hierzu führen und bereit sein, sie nach dem Gleichheitsgrundsatz immer abzulehnen. So ist in den letzten Monaten sehr viel von Geiselnahmen auf beiden Seiten gesprochen worden. Jenseits von juristischen Einschätzungen, muss darüber politisch geredet werden können, wie es sein kann, dass die hiesige Öffentlichkeit, sich für die illegalen Massenfestsetzungen und Verschleppungen, darunter mehrere Hundert Jugendliche jährlich, auf Seiten der israelischen Besatzung, de facto nicht interessiert, aber schon eine Geisel, der von den Palästinensern genommen wird, unüberhörbar skandalisiert wird. Wie kommt es, dass es hier keinen Aufschrei über die so genannten Geisel-Tausch gibt, wo für eine israelische Geisel teilweise mehrere Hundert palästinensischer Geiseln getauscht werden? Sind diese Tauschbedingungen nicht ein Zeugnis asymmetrischer Verhältnisse einerseits und geht damit nicht die Aussage einher, dass die Menschen und dass Menschenleben mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden?
Zu all diesen Fragen muss es möglich sein, in der deutschen Öffentlichkeit zu sprechen. Die so genannte freiheitlich demokratische Grundordnung der BRD bietet dafür die formellen gesetzlichen Bedingungen. Aber ist nicht etwa dieser heutige Strafprozess ein Indiz dafür, dass auch hier Meinungen mit unterschiedlichen Maßstäben gewertet werden?
Über all diese Dinge muss gesprochen werden können, ohne den moralischen Boden des Respektes vor dem menschlichen Leben und der menschlichen Würde zu verlieren und das – das wiederhole ich jetzt – ohne jegliche Relativierungen.
Auch die Widerstandskräfte in Palästina haben ihre grundsätzliche Haltung zu humanistischen Werten stets betont und – so wie wir sehen konnten – auch in hohem Maße versucht, diese einzuhalten. Gilt das aber auch für die Besatzungsmacht Israel?
Diese Einlassung sollte genügen, damit die StA, das Gericht wie auch die interessierte Öffentlichkeit meine Haltung zu den menschlichen Opfern vernehmen. Es sei nur hinzugefügt, dass auch der Zerfall moralischer Werte, so wie wir sie seit dem 7.Oktober sowohl unter den Besatzungssoldaten, unter Siedlern, aber auch unter den Unterstützern der Besatzung, nicht zuletzt in Deutschland, gesehen haben, Teil der menschlichen Tragödie sind. Wie viele Jahre und Jahrzehnte wird es brauchen, um diesen moralischen Verfall wieder mit menschlichen Werten aufzufüllen?
Was bedeutet die durch Amtsträger und öffentliche Personen wie auch Pressevertretern öffentliche Zustimmung und Unterstützung eines – nicht durch mich, sondern durch IGH und Menschenrechtsorganisationen – als Völkermord oder mindestens als schwerste Menschenrechts- und Kriegsverbrechen bezeichneten Kriegs gegen die Zivilbevölkerung in Gaza für das Rechtsempfinden der hiesigen Bevölkerung? Ist es etwa nicht so, dass hierdurch das Empfinden oder die Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit des eigenen Lebens und der eigenen Würde als Bürger dieses Landes, durch die Belohnung und Billigung der Verbrechen der Besatzungsmacht Israel, völlig erschüttert wird oder mindestens werden kann?
Die Frage, ob dieser Umstand dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden in der BRD tatsächlich zu stören, sei den Strafverfolgungsinstanzen überlassen. Da diese aber selbst Teil der Exekutive sind, bliebe es den Bürgern der Bundesrepublik aufgebürdet, diese potentiellen Straftaten zur Anzeige zu bringen. Wenn ich mich nicht irre, geschieht das auch hier und dort.
Die Tatsache zum Beispiel, dass der neu gewählte Kanzler Friedrich Merz gegenüber dem mit Haftbefehl belegten, israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu eine Einladung nach Deutschland ausgesprochen hat und ihm Immunität verspricht, ist nach meiner Rechtsauffassung, eine solche unseren Glauben an die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land erschütternde Störung des öffentlichen Friedens.
Und damit wäre übergeleitet zu einer weiteren Anforderung des § 140 StGB:
§ 140 verlangt des Weiteren, dass diese Äußerung in einer Weise getätigt sein muss, dass sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
Was ist mit „öffentlicher Frieden“ gemeint und wann kann von einer Störung ausgegangen werden?
Der Begriff des öffentlichen Friedens umfasst zwei Bedeutungssphären: einerseits ist damit objektiv die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gemeint, dazu gehört die Garantie der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit; andererseits umfasst der Begriff eine subjektive Seite, welche auf das notwendige Vertrauen der Bürger in die Prinzipien der bestehenden Ordnung, das heißt die Verfassung, die Rechtsnormen und die Rechtspraxis abzielt. Die Ordnung gilt sozusagen als befriedet, wenn sie objektiv abgesichert ist und subjektiv als solche wahrgenommen wird. Diese Interpretation habe ich aus den einschlägigen juristischen Fachzeitschriften und Monografien entnommen. (ein paar Referenzen)
Der öffentliche Frieden gilt entsprechend dann als gestört, wenn die Ordnung objektiv oder subjektiv angegriffen bzw. erschüttert wird. Für unseren Fall kommt nur die Erschütterung der subjektiv als gegeben und sicher wahrgenommenen Ordnung infrage. Dabei gehen manche Juristen wie Thomas Fischer davon aus, dass es nicht um einen empirischen Nachweis dieser subjektiven Störung gehen kann, sondern lediglich um den Nachweis einer Eignung für eine potentielle Störung[5]. Andere wie Martin Heger aber sehen zumindest die Erschütterung bei einer „nicht unbeträchtlichen Personenanzahl“ als Voraussetzung an[6].
Es muss außerdem gewährleistet sein, dass die Aussage in einer Weise öffentlich getätigt wurde, dass sie geeignet war die Öffentlichkeit zu erregen, aufzustacheln oder anzufeuern oder ähnliches. Dies ist im Falle meiner Aussagen im Rahmen einer Pressekonferenz umstellt von einer Hundertschaft der Polizei und einer Hundestaffel, kaum möglich gewesen. Es gibt hier und da vereinzelte Zuschauer, die entweder als Begleitung zur Presskonferenz kamen oder ganz zufällig auf der Straße standen, wo die Festnahme stattfand. Der ZDF-Beitrag, der von der StA als Beleg für die große Verbreitung meiner Aussagen erwähnt wird, handelt erstens von einem anderen Thema, nämlich Islamismus und ist in einer reißerischen Art angelegt, worauf die besonders hohe Zuschauerzahl zurückzuführen ist. Meine Aussagen erscheinen im Beitrag als deplatziert, da die Verbindung zwischen mir und dem Islamismus als kontra-intuitiv erscheint. Entsprechend werden wahrscheinlich weder anti-muslimisch und rassistisch denkende oder rechts gesinnte Menschen noch Menschen mit muslimischem Glauben, die sich diesen Beitrag ansehen, in meinen Aussagen eine Identifikationsfläche finden. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jedenfalls sehr gering.
Die Frage, die beantwortet werden muss, lautet also inwiefern meine getätigte Aussage dazu geeignet war, den „Zustand eines von der Rechtsordnung gewährleisteten, frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Bürger und das Vertrauen in der Bevölkerung, mindestens einer nicht unbeträchtlichen Personenzahl, in die Fortdauer dieses Zustandes“ zu stören.
Die Aussage, dass es sich bei dem Ausbruch der Widerstandskräfte aus dem Freiluftgefängnis am 7.Oktober 2023 um eine gelungene Widerstandsaktion gehandelt habe, kann nicht als geeignet für die Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland angesehen werden, da sich erstens die Aussage wie oben schon argumentiert überhaupt nicht auf Straftaten bezieht, zweitens die Aussage auf die politische Realität in Palästina und mitnichten auf Deutschland bezieht. Das bedeutet auch, dass sich die Aussage auf eine völlig andere Realität als die in Deutschland bezieht. Es fällt schwer, zu glauben, dass Menschen in Deutschland aufgrund einer politischen Einschätzung der Lage in Palästina, diese Aussage auf die Situation in Deutschland übertragen und ihr Vertrauen in die deutsche Rechtsordnung in dieser Weise erschüttert werden könnte. Auch das Amtsgericht Mannheim argumentierte sogar in Bezug auf konkret gebilligte Straftaten in ihrem Beschluss vom 15.10.2024 ähnlich: „Stellt man auf Mord oder Totschlag oder Geiselnahme als gebilligte Straftat nach (Bezug auf §§) ab, soll eine reine Auslandsstraftat nur taugliches Tatobjekt sein, wenn sie zur Störung des inländischen Friedens geeignet ist, was bei dem Angriff der HAMAS auf Israel fraglich ist, da es sich um einen regionale Konflikt zwischen dem militärischen Arm der HAMAS und mit ihr verbündeten paramilitärischen Organisationen und dem Staat Israel handelt. (s. Beschluss des LG Mannheim vom 22.05.2024, Akz 5 Qs 12/24 (24 Cs 806 Js 35924/23 AG Mannheim).“
Die Vermutung, dass es sich hier nicht um die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens so wie oben definiert, handelt, sondern vielmehr um die Angst vor einer Störung der öffentlich hegemonialen Meinung, die zufällig die Meinung der Regierungsparteien ist, erhärtet sich bei genauer Betrachtung.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass hier eine Abwägung mit den Grundrechten, namentlich dem Artikel 5 GG, dem hohen Gut der Meinungsfreiheit geboten ist und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht selten zu Gunsten des Grundgesetzes entschieden wurde.
In einem Urteil des BVerfG vom 22.Juni 2018 heißt es
„Gegenstand des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>).“ (BVerG – 1 BvR 2083/15 -)
Weiter heißt es im selben Urteil:
„Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen (BVerfGE 124, 300 <330>). Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden in dem Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (vgl. BVerfGE 124, 300 <335>).“ (ebenda)
In einem sehr frühen Urteil des BVerfG, nämlich vom 15.Januar 1958 ist folgender Satz zu finden:
„Das Grundrecht des Art. 5 GG schützt nicht nur das Äußern einer Meinung als solches, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung.“ (- 1 BvR 400/51 -)
Florian Steding argumentiert mit Bezug auf Urteile des BVerfG, dass das Einschränken des Artikels 5 GG nur mit Bezug auf andere verfassungsrechtlich geschützte Güter legitimiert ist. Jedoch arbeitet er in seiner Dissertation (Steding 2022) heraus, dass es kaum solche Güter mit Verfassungsrang gibt, die den Schutz des öffentlichen Friedens begründen könnten im Gegensatz zu Volksverhetzung[7].
Dass gerade der § 140 Nr.2 aus Sicht vieler Juristen hinsichtlich der Subsumtion Schwierigkeiten bietet und wie auch der § 130 zur Volksverhetzung, weil als Äußerungsdelikte angelegt, häufig im Widerspruch zum Artikel 5 GG gerät, ist unter Rechtswissenschaftlern offensichtlich kein Streitpunkt.
So ist die verfassungsrechtliche Abwägung im Lichte des Meinungsspektrums in den Rechtswissenschaften und vor dem Hintergrund der höchstgerichtlichen Urteile auch hinsichtlich der gegen mich erhobenen Vorwürfe, die heute hier im Amtsgericht Frankfurt verhandelt werden, geboten.
Zusammenfassend sei hierzu gesagt, dass meine Aussage am 13.10.24 nicht geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, weil nicht ersichtlich ist wie dadurch das Rechtsempfinden oder die Rechtsstaatlichkeit durch diese politische Einschätzung gestört sein kann. Wenn andere Meinungen als die der Exekutive oder als die in der Öffentlichkeit verbreitete, als Störung des öffentlichen Friedens interpretiert würden, ohne dass sie eine Billigung von Straftaten oder Bejubeln von Verbrechen beinhalten und ohne dass ihre Eignung hierfür konkretisiert würde, dann kommt das einem Maulkorb für Andersdenkende gleich.
Hier kommt es nun darauf an, dass das Gericht, die wenn auch in diesem Fall meiner Auffassung nach nicht schwierige, aber durch politischen Druck als schwierig erscheinende Unterscheidung zwischen einer Störung des öffentlichen Friedens und einer durch das Grundgesetz geschützten freien Meinungsäußerung, unterscheidet.
Hierzu sei noch gesagt, dass politisch und auch verfassungsrechtlich die Rolle der Presse zu beachten ist, vor allem der öffentlich-rechtlichen und der monopolisierten Presse[8]. Es gibt genug Indizien für eine in den Medien vorherrschende Praxis der Regulierung der Auswahl von Attributen und einem allgemeinen Wording, das durch rigide Vorgaben und stetiger Wiederholung eine als allgemein gültige und akzeptierte Meinung verbreiten soll. Durch eine solche Praxis wird der Schein einer angeblichen Meinungseinheit erzeugt, der hier fälschlicherweise mit ‚öffentlicher Frieden‘ gleichgesetzt wird und dessen Störung als strafrechtlich relevant verfolgt werden soll.
Die Vermutung liegt nicht fern, dass es nicht der öffentliche Frieden ist, um den es hier geht, sondern die Unterstützer der Besatzung fühlen sich gestört und möchten diese Meinung unterbinden.
Zusammenfassung zu Anklagepunkt 1:
– enthält keine Rechtfertigung von Morden oder Geiselnahmen, sondern eine analytische Bewertung der Gesamtsituation.
– die Angeschuldigte verweist explizit auf die schlechte Informationslage und den aus ihrer Perspektive stattfindenden Informationskrieg und betont, dass ihre Aussagen auf die Kontextualisierung der Ereignisse abzielen und nicht auf die Einzelheiten.
– die Bezeichnung „Terror“ oder „Terrororganisation“ lehnt sie ebenso im Rahmen ihrer politischen Analyse als falsch ab und nicht im Sinne einer Zustimmung oder gar Billigung einzelner konkreter Taten.
– Keine Eignung zur Friedensstörung, wie oben begründet
Und da findet im Rahmen einer Pressekonferenz statt und nicht auf einer Kundgebung und ist somit nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.
– die Tatsache, dass die Pressekonferenz nicht in geschlossenen Räumen stattfinden konnte, war der Inszenierung der Polizei zu verdanken (hierzu gehörte auch der völlig überzogene Einsatz einer Hundertschaft und einer Hundestaffel)
– Die Ausführungen der Angeschuldigten bei der Konferenz werden ruhig, sachlich und mit Belegen ausgeführt. Die Unterbrechungen durch Presse und Polizei führen nicht dazu, dass sie emotional reagiert, obwohl sie voller Sorge um einen beginnenden Völkermord am palästinensischen Volk und von Abbau demokratischer Rechte in Deutschland spricht
– Dass der ZDF-Beitrag viele Aufrufe hatte, beweist keine konkrete Gefahr (BGH, Urteil v. 10.03.2020 – 3 StR 569/19). Außerdem handelt der Beitrag vor allem von „Islamismus“ in Deutschland und hat deshalb viele Aufrufe, nicht zuletzt wegen seiner reißerischen Form, die viele Vorurteile bedient und Ängste schürt. Die Aussagen der Angeklagten stehen nicht im Mittelpunkt.
Antrag:
Freispruch oder mindestens Einstellung nach § 153 StPO (geringe Schuld, kein öffentliches Verfolgungsinteresse)
III. Zu Anklagepunkt 2 (Verbotene Versammlung)
Tatvorwuf und Hergang:
Ich werde angeklagt, als Veranstalterin oder Leiterin entgegen einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs 2 des Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes eine öffentliche Versammlung durchgeführt zu haben.
Strafbar nach:
Subsumtion:
§ 25 Abs 2 Nr.4 des Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes:
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
4. als Veranstalterin oder Veranstalter oder als Leiterin oder Leiter entgegen einem vollziehbaren Verbot oder einer vollziehbaren Auflösung nach § 14 Abs. 2 und 4, § 21 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie § 1 Satz 1 des Gesetzes über die Bannmeile des Hessischen Landtags eine öffentliche Versammlung durchführt oder fortsetzt, (…).
Das Verbot war nach § 14 Abs. 2 nach Bestätigung des Verbots durch VGH Kassel wirksam und vollziehbar.
Wurde die Versammlung aber durch die Versammlungsleiterin / Anmelderin der verbotenen Demonstration durchgeführt?
Unter Durchführung können folgende Inhalte gefasst werden: Sammeln und Zusammenrufen zwecks Versammlung, eine Rede halten, Parolen rufen, in irgendeiner Weise organisatorisch oder ordnend auf Menschen einwirken, Versammlungsmittel nutzen.
Zu keinem Zeitpunkt wurde meinerseits eine oder mehrere solcher Handlungen durchgeführt. Ich hielt mich lediglich an der Hauptwache auf und redete mit Menschen – meistens über das Verbot.
Es ist nicht möglich diese Handlungen unter den vorgegebenen Inhalt des angeführten Gesetzestextes zu subsumieren, außer durch einfache Behauptungen oder Fälschungen, wie wir weiter unten sehen werden.
Die Demonstration am 14.10.23 war ursprünglich mit einem Auftakt an der Hauptwache, Beginn 15 Uhr angemeldet! Durch das Kooperationsgespräch (11.10.23) wird sich jedoch auf den Startpunkt „Opernplatz“ geeinigt. (siehe dazu Verbotsverfügung vom 12.10., S.1 und Protokoll des Kooperationsgespräches, S. 8)
Ich erhielt am 14.10.24 um 14:14 Uhr eine Email von meinem Anwalt Ahmed Abed (Siehe Anhang 4). Gelesen hat sie diese Email erst etwa um 14:30 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich schon längst in der Innenstadt. Die Demonstration war bis zu diesem Zeitpunkt durch das Urteil des VG-FFM nicht verboten. Als ich die Email las, begab ich mich nicht mehr zum Versammlungsort, sondern blieb explizit fern. Da sich aber die meisten Demoteilnehmer schon in der Stadt versammelt hatten, informierte ich dort die offensichtlich in großer Zahl erschienenen Demoteilnehmer über die Bestätigung des Verbots durch VGH Kassel.
Zu keinem Zeitpunkt wurde ich am Opernplatz angetroffen und habe mich auch nicht in diese Richtung bewegt. (Fehlerhafte Berichte der Polizei: S.3, und S. 17 – hier wird behauptet, dass ich am Versammlungsort, explizit „Opernplatz“ angetroffen – der Bericht von Herrn Siegert KOK wurde am 09.11.23 verfasst und widerspricht seinem Kurzbericht auf S. 7 Hauptakte, wo er den Tatort „Hauptwache“ angibt. Und Fehler auf S.8, wo von einer Durchführung der Demonstration ohne weitere Ausführung / Beschreibung die Rede ist)
Zu den Berichten der Polizei von vor, während und nach der Festnahme an der Hauptwache
Bericht von Yilmazer ergibt keine Hinweise auf „Durchführung“ oder „Fortsetzung“ der Demonstration. Ich wurde lediglich dabei beobachtet, wie ich mich mit anderen Menschen an der Hauptwache unterhielt. (Siehe Hauptakte S. 4-6)
Entsprechend ist dem Bericht des PK Biet (Hauptakte S.8) zu widersprechen, der von einer „Durchführung der Versammlung“ spricht. Dabei konnte er nicht mehr beobachten als PK Yilmazer, der lediglich meinen Aufenthalt an der Hauptwache feststellte und weder aktive Aufrufe noch andere Verhaltensweisen meinerseits, die auf „die Durchführung einer Versammlung“ deuten könnten, beschreibt. Es sei hier kritisch angemerkt, dass Berichte der Polizei ohne weitere Ausführungen und Erläuterungen keine Unterstellungen beinhalten dürfen, die zu einer Strafbarkeit führen können. Das ist von Seiten einer von Amts wegen mit Rechtsinhalten befassten Person mit einem besonderen Maß an Verantwortung auszuführen. Wenn also Herr Biet in seiner Funktion als ausgebildeter Exekutivbeamter weiß, dass es hier um einen Verdacht der Durchführung einer Demonstration trotz Verbotes geht, dann reicht es nicht, diese Behauptung aufzustellen. Vielmehr ist es geboten, näher auszuführen an welchen Handlungen diese Durchführung festgemacht wurde. Das Verbot einer Versammlung führt nicht zu einem generellen Verbot eines Aufenthaltes in einer Stadt, sondern lediglich zum Verbot der Durchführung von Demonstrationen, auch von Ersatzveranstaltungen.
Am 1.12. wird von KOK Siegert wieder ein Bericht verfasst, indem er zugibt auf seine Nachfrage hin vom PK Yilmazer eine Ergänzung zu seinem ursprünglichen Bericht zu bekommen und zwar mit dem Inhalt dass er mich anderthalb Monate vorher doch beobachtet haben will, wie ich am besagten 14.10.23 „auf etwa 40-50 Personen eingewirkt habe und sich der Versammlungskreis immer weiter füllte.“ (S. 60 Hauptakte). Warum diese Ergänzung aus Sicht des KOK Siegert nötig wurde und warum PK Yilmazers Einschätzung am Tag selbst und vor Ort nicht ausreichend war und vor allem diese strafrechtlich relevante Beschreibung nicht enthielt, bleibt offen. Eine solche relevante Beobachtung, nämlich des Einwirkens auf 40-50 Personen muss am Tag selbst Herrn Yilmazer völlig entgangen sein, ihm aber anderthalb Monate später noch scharf im Gedächtnis geblieben zu sein. Eine fragliche und zu untersuchende Erkenntnis. Hinzuzufügen wäre, dass diese Ergänzung des Herrn Yilmazer nicht von diesem unterschrieben wurde. Wenn es sich dabei aber um eine nachträgliche Konstruktion einer aktiven Durchführung einer Versammlung handeln soll, dann sollte das Gegenstand von Ermittlungen sein, die auf die Untersuchung von möglichen Falschaussagen abzielen.
Auch das angeführte Kurzvideo in diesem Bericht von KOK Siegert vom 1.12.23 erbringt keine weiteren Erkenntnisse bezüglich einer Durchführung einer Versammlung. Offensichtlich informierte ich über den Instagram-Account FreePalestine FFM über das Verbot, was ich als meine Pflicht und Verantwortung ansah. Auch in diesem kurzen Videoclip gab es meinerseits weder einen Aufruf, sich zu versammeln, noch irgendeine Art des Versuchs, die Versammlung durchzuführen.
Die Durchführung einer Versammlung als Versammlungsleiterin muss mindestens mit dem Zusammenrufen der Menschen vor Ort oder in irgendeiner Weise einem Aufruf zur Versammlung in Form einer Rede oder ähnlichen Handlungen nachgewiesen sein. Ich aber befand mich lediglich in der Innenstadt und wurde bei Unterhaltungen mit einzelnen Bekannten beobachtet.
An vielen Orten kam es zu dieser Zeit schon zu solchen Situationen, die auch an der Hauptwache zu beobachten war: viele Menschen, die zur Demo wollten, waren empört über das Verbot und wollten sich entweder austauschen, gegenseitig informieren oder zeigten ihren Unmut. Dabei war es manchen Menschen wichtig, ihrer Empörung – vor allem hinsichtlich der Kriegshandlungen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza -, Ausdruck zu verleihen.
Auf diese Dynamik nahm ich keinen Einfluss. In der Tat konnte ich auch nicht die Dynamik auf der Straße beherrschen, weil mir weder eine Struktur noch Infrastruktur zur Verfügung stand. Ich kannte nur vereinzelt Menschen und hatte keinen Zugang zu Versammlungsmittel.
Meine Festnahme war entsprechend völlig ohne Wirkung und machte aufgrund dieser Umstände und meines passiven Verhaltens keinen Sinn. Es war nur wieder ein Versuch der Einschüchterung und – wie wir an diesem Prozess sehen – einer Kriminalisierung meiner Person.
Es liegt der Verdacht nahe, dass anhand solcher Prozesse, es darum geht, einen Exempel an einzelnen Aktivisten zu statuieren, um andere von politischem Engagement für Menschenrechte und Meinungsfreiheit abzuschrecken.
Zusammenfassung zu Anklagepunkt 2:
1. Keine Leitung einer verbotenen Versammlung
– Die Angeklagte erfuhr zirka 20 Minuten vor Beginn vom Verbot und konnte es nicht mehr an alle Teilnehmer kommunizieren. (siehe Email vom Anwalt, etwa 45 Minuten vor Beginn der Demonstration versendet)
– Sie begab sich nicht zur Alten Oper, sondern informierte an der Hauptwache über das Verbot. (siehe Berichte der Polizei aus der Akte, teilweise Verfälschung)
– Ihr Instagram-Post informierte über das Verbot und („Mund nicht verbieten lassen“) war kein Aufruf zur Demo, sondern eine Meinungsäußerung.
2. Fehlender Vorsatz
– Die Angeklagte handelte nicht gegen das Verbot, sondern versuchte, es umzusetzen.
– Dass sie sich in der Innenstadt befand, war dem Umstand geschuldet, dass das Urteil des VGH kurz vor dem angesetzten Termin der Kundgebung bekannt wurde: § 25 HVersG setzt Vorsatz voraus – dieser ist nicht gegeben.
– Die Tatsache, dass viele Menschen, die zur Demonstration wollten, schon in der Innenstadt waren, als die Information über das Verbot die Anmelderin erreichte.
Fazit
Nach einer Prüfung aller Vorwürfe und deren Reflexion und Würdigung, möchte ich feststellen, dass mindestens ein Freispruch im zweiten Anklagepunkt zu erwarten sein muss. Die Begründungen habe ich oben angeführt. Die Sach- und Beweislage ist hier klar.
Bezüglich des zweiten Anklagepunktes, also des Vorwurfes der Billigung von Straftaten, möchte ich beantragen, dass das Amtsgericht Frankfurt von einer Verurteilung absieht und plädiere für einen Freispruch, aber mindestens für eine Einstellung des Verfahrens.
Seit der Ablehnung des Amtsgerichtes hat sich weder hinsichtlich der Einfachheit des Sachverhalts noch hinsichtlich der Klarheit der Beweislage etwas verändert. Durch meine Ausführungen konnte ich, so meine Hoffnung, einige Fragen beantworten und Klarheit bezüglich meiner Positionen und Haltungen schaffen.
Die StA aber hat weder neue Beweise eingeführt noch hat sie aktiv an der Klärung des Sachverhalts gearbeitet. Vielleicht geht sie davon aus, dass der politische Druck stark genug ist und dass sie deshalb sich nicht bemühen muss, um ihre Vorwürfe zu unterstreichen und zu begründen.
Ich hoffe aber, dass die Grundsätze „Im Zweifel für den Angeklagten“ und dass die Beweislast vor allem bei der Anklage liegen muss und nicht bei der Angeschuldigten, also mir.
Zu meiner Sorge hinsichtlich der Instrumentalisierung und des Missbrauches des § 140 StGB habe ich oben schon Worte verloren. Ich möchte hier aber noch hinzufügen, dass es meiner Ansicht nach durchaus Sinn machen kann, einen solchen Paragraphen gegen Verhetzung und zum Zwecke der Bekämpfung von moralischer Verrohung einzusetzen. So sehr ich auch für eine weitgehende Orientierung an den im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechten plädiere, so sehr setze ich mich auch seit Jahren bzw. mittlerweile schon Jahrzehnten für eine Strafbarkeit von Hass und Hetze ein. Dass Exekutivorgane aus politischem Interesse und Neonazis mit einer menschenverachtenden Ideologie und einer gewalttätigen bis zur tödlichen Praxis sowohl die Grundrechte als auch diese Paragraphen für sich ausnutzen, sollte die Rechtsprechung aufhorchen lassen und gerade bei diesen Fällen mit besonderer Vorsicht und Achtsamkeit unter Einbeziehung des Kontextes urteilen.
[1] https://www.rechtsportal.de/Rechtsprechung/Rechtsprechung/2018/BGH/Mindestanforderungen-an-die-Konkretisierung-der-Tat-in-der-Anklageschrift-Anforderungen-an-die-Umgrenzung-des-Prozessgegenstands-Freiheitsstrafe-wegen-versuchter-Anstiftung-zur-Anstiftung-zum-Mord
[2] https://www.haaretz.com/israel-news/2024-07-07/ty-article-magazine/.premium/idf-ordered-hannibal-directive-on-october-7-to-prevent-hamas-taking-soldiers-captive/00000190-89a2-d776-a3b1-fdbe45520000
https://www.aljazeera.com/news/2024/3/21/october-7-forensic-analysis-shows-hamas-abuses-many-false-israeli-claims
[3] https://www.jpost.com/israel-hamas-war/article-823396
[4] https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/07/dismantle-israels-carceral-regime-and-open-air-imprisonment-palestinians-un
[5] https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-fische-jubel-terror-hamas
[6] Martin Heger In: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, StGB § 126 Rn. 1
[7] https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/30958/1/Steding_Florian.pdf
[8] https://www.humanistische-union.de/publikationen/grundrechte-report/2008/publikation/medienmonopole-eine-gefahr-fuer-die-demokratie/