Verteidigungsrede von Abdullah aus Münster am 24.06.2024. Den Bericht zum Gerichtsprozess findet ihr hier auf der Website von Palästina Antikolonial Münster.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Demonstration am 4. November waren friedlich. Es war die Polizei, die bereits zu Beginn der Demonstration eskalierte, indem sie einzelne Personen wegen Plakaten mit der Aufschrift „Stoppt den Genozid“ rauszog, Anzeige erstattete und Platzverweise ausstellte. Bei der Endkundgebung in der Stubengasse stürmten behelmte Polizisten in die Demonstration und nahmen gezielt Redner in Gewahrsam, ohne Vorwarnung und ohne Begründung. Dabei gingen die Polizisten brutal vor, sie traten und schubsten Demonstrationsteilnehmerinnen, und schlugen Menschen mit der Faust ins Gesicht, zum Beispiel auch meine Schwester. Auch ich wurde brutal in Gewahrsam genommen, ohne irgendeine Begründung zu bekommen. Ich bin das Opfer von Polizeigewalt geworden. Trotzdem sitze ich jetzt auf der Anklagebank, und nicht die verantwortlichen Polizeibeamten.
Durch den Polizeieinsatz wurde das rassistische Bild von gewalttätigen und kriminellen Ausländern, vor allem Palästinensern und Arabern, reproduziert. Auf rechten Social-Media-Accounts wurden Videos von der Demonstration über hunderttausend Mal angeklickt und tausendfach geteilt. Die Videos dienen den Rechten als Bestätigung für die vermeintliche Islamisierung Deutschlands, sie fordern die Deportation von Immigranten. Die Szenen, die in den Videos zu sehen sind, wie sich wütende Demonstranten und behelmte Polizisten gegenüberstehen, sind einzig und allein dadurch entstanden, dass die Polizei auf rücksichtslose und gewaltsame Weise eskaliert hat.
In den ersten Wochen und Monaten nach dem 7. Oktober und der darauf folgenden Flächenbombardierung Gazas wurden in Berlin ganze Stadtteile durch die Polizei belagert, jegliche palästinensische Symbole wurden kriminalisiert. Unsere Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wurden massiv eingeschränkt, zum Teil ganz aufgehoben. Die Polizeistrategie ist dabei klar politisch motiviert gewesen. Das Innenministerium gab vor, welche Parolen kriminalisiert werden sollten, obwohl es zum Teil schon Gerichtsurteile aus den vergangenen Jahren gab, die genau diese Parolen als nicht strafrechtlich relevant eingestuft hatten. An vielen Orten gingen Menschen gegen die Auflagen und Versammlungsverbote vor Gericht. Die Gerichte entschieden meist, dass die Auflagen und Verbote rechtswidrig waren. Auch in Münster war die Polizeistrategie politisch motiviert. Alleine hier wurden in den ersten Wochen über 30 Anzeigen ausgestellt, die alle fallengelassen wurden. Obwohl die Anzeigen fallengelassen wurden, wurde dadurch großer Schaden angerichtet: Menschen trauten sich nicht mehr auf die Demonstrationen, aus Angst vor Repression und Gewalt oder aus Angst, Probleme mit der Ausländerbehörde oder dem Arbeitgeber zu bekommen. Jugendliche, die sich für ein Ende der Massaker am palästinensischen Volk einsetzen wollten, wurden von ihren Eltern unter Druck gesetzt, nicht zu den Demos und Kundgebungen zu gehen, weil die Eltern Angst um sie hatten. Wie so viele andere Menschen in den letzten Monaten, bin ich bin das Opfer politischer motivierter Gewalt durch den Staat geworden.
Der große Skandal ist, dass ich hier auf der Anklagebank sitze und nicht die Polizisten und Polizistinnen, die Gewalt und Repression durchsetzen oder die Politiker und Politikerinnen, die sich Strategien zur Einschüchterung und Zerschlagung legitimer Proteste gegen den Völkermord in Gaza ausdenken und deren Politik die Massaker gegen das palästinensische Volk mit ermöglicht.
Ich erwarte nicht, hier freigesprochen zu werden, obwohl ich unschuldig bin. Ich möchte aber, dass Sie wissen, dass viele Menschen in diesem Land das Vertrauen in diesen Staat und seine Institutionen verloren haben, weil sie sehen, wie Menschen kriminalisiert werden und Gewalt erfahren, nur weil sie sich für Menschenrechte einsetzen, gegen Krieg und für ein Ende der Massaker gegen das palästinensische Volk. Ich bin weiterhin überzeugt davon, dass ich nichts falsch gemacht habe.
Das palästinensische Volk hat ein Recht auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Israel nimmt ihnen dieses Recht seit über 75 Jahren. Das höchste Gericht der Welt, der internationale Gerichtshof, hält es für plausibel, dass das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser in Gaza als Genozid eingestuft werden muss. Deshalb möchte ich zum Schluss sagen: Nie wieder gilt für alle!
Stoppt den Genozid in Gaza!