Aktionswoche „Es begann nicht am 7. Oktober“ des Kufiya-Netzwerks
Als PDF
Viele Fragen zu den Ereignissen vom 7. Oktober bleiben weiterhin ungeklärt, da Israel unabhängige Untersuchungen der Geschehnisse verweigert. Eine zusätzliche Herausforderung bei der Bewertung des 7. Oktober stellt die Berichterstattung internationaler, insbesondere westlicher Medien dar. Diese haben die Aussagen israelischer Behörden und unsicherer Quellen oft ungeprüft übernommen und zahlreiche Geschichten verbreitet, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben. Berichte und Aussagen über den Beschuss eigener Soldaten und Zivilisten durch die israelische Armee werden hingegen kaum beachtet.
Im Zusammenhang mit dem 7. Oktober muss von einer Propagandakampagne gesprochen werden, die einerseits dazu dient, den erbarmungslosen Rachefeldzug in Gaza zu rechtfertigen und andererseits das systematische Abschlachten der Palästinenser verschweigt, sodass der aktuell stattfindende Genozid keine Erwähnung findet. Deutsche Medien spielen in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle bei der Rechtfertigung und Verschleierung des Völkermords an den Palästinensern, wie im folgenden Text erläutert wird.
Das ARD-Glossar zur Berichterstattung über den „Nahostkonflikt“
Am 18. Oktober 2023, nur elf Tage nach dem 7. Oktober, beschloss die ARD ein internes Glossar, das die Sprache der Redaktionen zum “Nahostkonflikt” regeln soll. Ziel ist es, die Berichterstattung zu vereinheitlichen und ein bestimmtes politisches Bild zu vermitteln.
Das Glossar weist darauf hin, dass Begriffe wie “Gewaltspirale” oder “Eskalation in Nahost” vermieden werden sollen, während stattdessen Formulierungen wie “Angriff aus Gaza auf Israel” oder “Terrorangriffe auf Israel” verwendet werden sollen. Dies zielt darauf ab, die Vorgeschichte des 7. Oktober, nämlich die völkerrechtswidrigen Angriffe auf Gaza (Blockade, regelmäßige Bombardierungen sowie die systematische Ermordung unter anderem von Frauen, Kindern, Journalisten und medizinischem Personal) zu verschweigen.
Weiterhin soll der völkerrechtlich legitime Widerstand gegen die israelische Besatzung (Resolution 3103 (XXVIII) der UN-Generalversammlung 1973) als Terrorismus diffamiert werden, um das Abschlachten der Palästinenser zu legitimieren. So heißt es im Glossar: „Wie bereits von der Chefredaktion festgelegt, sollten wir nicht euphemistisch von Hamas-Kämpfern, sondern von Terroristen schreiben und sprechen“. Das Glossar legt zudem fest, dass „die Hamas den aktuellen Konflikt begonnen hat“ und stets betont werden müsse, „dass es sich [bei israelischen Angriffen] überwiegend um militärische Ziele handelt.“ Obwohl bei den Angriffen auf Gaza Zehntausende Palästinenser sterben, soll die Lesart der israelischen Armee unkritisch übernommen und der Genozid medial gerechtfertigt werden. Es überrascht daher nicht, dass fast jeder Zweite wenig oder gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum “Krieg in Nahost” hat, wie eine Umfrage von Infratest Dimap für das NDR-Medienmagazin ZAPP vom 28. August 2024 zeigt.
Neben der Übernahme der israelischen Darstellung in den deutschen Medien dient die systematische Verbreitung von Falschnachrichten dazu, das Vorgehen des israelischen Militärs ungeachtet des Genozids an den Palästinensern stetig zu rechtfertigen.
Der 7. Oktober und die Hannibal Direktive
Als Reaktion auf den Ausbruch der palästinensischen Widerstandsgruppen aus dem größten Freiluftgefängnis der Welt am 7.Oktober aktivierte die israelische Armee die sogenannte “Hannibal Direktive”. Diese sieht vor, dass um jeden Preis verhindert werden muss, dass israelische Soldaten in Gefangenschaft geraten. Der Beschuss der eigenen Soldaten ist erlaubt, ihr Tod wird damit in Kauf genommen. In der Vergangenheit wurde bei der Umsetzung der Direktive bereits massive Bombardierung eingesetzt. Wie die israelische Tageszeitung Haaretz im Juli berichtete, gab es am 7. Oktober zahlreiche Befehle zur Umsetzung der Hannibal-Direktive, darunter dem Befehl: “Nicht ein einziges Fahrzeug darf nach Gaza zurückkehren.” Auch der Tod von Siedlern wurde dabei in Kauf genommen.
Haaretz berichtet, dass die gesammelten Daten darauf hindeuten, dass “viele der entführten Menschen in Gefahr waren [getroffen zu werden], weil sie israelischen Schüssen ausgesetzt waren”. Überlebende aus dem Kibbuz Be’eri berichteten, dass nach stundenlangen Schusswechseln zwischen palästinensischen Kämpfern und israelischer Armee ein israelischer Panzer das Haus beschoss, in dem sich die Kämpfer mit Bewohner*innen des Kibbuz verschanzt hatten. Dabei wurden 13 Israelis getötet, darunter Kinder.
Bilder und Videos zeigen das Ausmaß der Zerstörung in den Kibbuzim und deuten auf weitere Fälle von Panzer-, Artillerie- und Raketenbeschuss auf die Häuser hin. Hochrangige Militärangehörige gaben in israelischen Medien zu, dass es an Informationen mangelte und aus Kampfhubschraubern auf Menschen geschossen wurde, ohne zu wissen, wer getroffen wurde.
Ein weiterer Punkt, der Fragen aufwirft, ist die anfängliche Zahl der getöteten Israelis, die zunächst mit 1.400 angegeben wurde und später auf 1.200 korrigiert wurde, da 200 verbrannte und teilweise misshandelte Leichen fälschlicherweise für Israelis gehalten wurden, obwohl es Palästinenser waren. Da es keine unabhängige Untersuchung gibt, ist es nicht möglich zu sagen, wie viele Menschen insgesamt auf israelischer Seite durch israelischen Beschuss getötet oder verletzt wurden.
Die Baby-Story
Eine der am weitesten verbreiteten Falschmeldungen ist die Geschichte von den 40 enthaupteten Babys. Bereits am 12. Oktober gab die israelische Regierung gegenüber CNN zu, dass sie die Geschichte über die Babys nicht bestätigen könne. Obwohl mehrmals betont wurde, keine Informationen zur Bestätigung dieser Geschichte zu haben, wurde sie weiterhin durch israelische Armeesprecher verbreitet. Die offiziellen Angaben der israelischen Regierung sind widersprüchlich und unklar. Als die französische Tageszeitung Le Monde die israelische Botschaft in Frankreich kontaktierte, um die Berichte über die Babys zu hinterfragen, wurden die entsprechenden Tweets gelöscht mit dem Hinweis „auf Ungenauigkeit“. Zugleich hob die Botschaft hervor, dass „die ersten Stunden und Tage [nach dem 7. Oktober] von erheblichem Chaos und großer Ungewissheit geprägt waren, selbst bei den Informationen, die die offiziellen Kanäle erreichten.“
Die pro-israelische Berichterstattung stützt sich oft auf einen Artikel der israelischen i24News. Was jedoch nicht erwähnt wird, ist, dass der Artikel am 30. November korrigiert und die Informationen über die 40 Babys entfernt wurden. Die ursprünglichen Angaben stammten überwiegend von Soldaten oder Mitarbeitern der zionistischen Such- und Rettungsorganisationen ZAKA und United Hatzalah. In einem öffentlichen Treffen mit ZAKA-Mitgliedern am 23. November 2023 betonte Netanyahu die wichtige Rolle dieser Organisationen bei der Verbreitung israelischer Propaganda in der Weltöffentlichkeit sowie die Beeinflussung der Meinung von politischen Führern. Am 4. Dezember veröffentlichte Haaretz einen Artikel, der die widersprüchlichen und falschen Angaben dieser Organisationen aufdeckte und die Geschichte der 40 Babys als Lügengeschichte entlarvte.
Vorwurf der systematischen Vergewaltigung
Eine weitere Lügengeschichte, die von Israel verbreitet und von den deutschen Medien unkritisch aufgegriffen wird, ist der angebliche systematische Einsatz sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung als Waffe. Die unabhängige Untersuchungskommission der UN für die illegal besetzten palästinensischen Gebiete, die Menschenrechts- und Kriegsverbrechen untersucht, bot Israel unmittelbar nach dem 7.Oktober Israel eine Untersuchung an, die jedoch abgelehnt wurde. Trotz dieser Ablehnung wirft die israelische Regierung der UN und anderen internationalen Organisationen heute vor, die Vorwürfe sexualisierter Gewalt zu ignorieren.
Häufig stützen sich die Medien auf einen Artikel der New York Times von Ende Dezember 2023, in dem die Vorwürfe erhoben und verbreitet wurden. Bis heute verbreiten vor allem westliche Politiker wie Baerbock, Biden oder Harris diese Anschuldigungen und behaupten, Beweise dafür mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Diese Beweise wurden jedoch nicht erbracht, viele Zeugenaussagen wurden nachträglich als falsch widerlegt, und es wurde kritisiert, dass viele der sogenannten Zeugen bereits zuvor durch Falschaussagen aufgefallen sind. Zudem stützen sich die Vorwürfe nicht auf forensische Beweise, die im Rahmen einer unabhängigen Untersuchung überprüft werden könnten – eine Untersuchung, die jedoch von Israel abgelehnt wird. In einem im Mai 2024 veröffentlichten Statement der Organisation Physicans for Human Rights Israel wird dargelegt, dass einige Zeugenaussagen umstritten und nicht verifizierbar sind. Auch wird festgestellt, dass die israelische Regierung Berichte über sexualisierte Gewalt in einer manipulativen Art und Weise instrumentalisiert.
Einerseits fehlt es an einer unabhängigen Untersuchung dieser Vorwürfe, da Israel diese blockiert, andererseits bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen, die diese Anschuldigungen stützen. Gleichzeitig ist der Einsatz sexualisierter Gewalt und der systematische Einsatz von Vergewaltigung als Waffe durch israelische Soldaten gegen Palästinenser bereits vor dem 7. Oktober mehrfach dokumentiert worden.
Im Jahr 2015 veröffentlichte die israelische Menschenrechtsorganisation Public Committee Against Torture in Israel die Ergebnisse einer Untersuchung aus den Jahren 2005 bis 2012. Die Ergebnisse zeigten, dass der Einsatz sexualisierter Gewalt gegen palästinensische Gefangene einer Systematik folgt. Am 5. August in diesem Jahr veröffentlichte die UN einen Bericht der Sonderberichterstatter in den besetzten palästinensischen Gebieten. Der Bericht wirft Israel massive und systematische Menschenrechtsverletzungen an palästinensischen Gefangenen vor, unter anderem durch den Einsatz sexualisierter Gewalt.
Die von israelischen Soldaten durchgeführte und dokumentierte Gruppenvergewaltigung eines palästinensischen Gefangenen im Gefängnis Sde-Teiman ist dabei laut UN-Bericht nur die Spitze des Eisbergs. Dass diese bestialische und unmenschliche Gruppenvergewaltigung von dem israelischen Minister für nationale Sicherheit (Ben-Gvir) verteidigt und glorifiziert wurde, verdeutlicht die Systematik hinter der israelischen Politik, sexualisierte Gewalt gegen Palästinenser auszuüben. Ben-Gvir hatte, nachdem die beteiligten Soldaten im Gefängnis von der Militärpolizei unter Arrest gestellt wurden, mit einem rechten Mob das Gefängnis gestürmt und versucht die Vergewaltiger zu befreien. m 18. August veröffentlichte das israelische Institut für nationale Sicherheitsstudien die Ergebnisse einer Umfrage, in der unter anderem nach den Konsequenzen für die Vergewaltiger gefragt wurde. Zwei Drittel der Befragten, also 65 %, sprachen sich gegen Strafen für die Vergewaltiger aus. Stattdessen wurden diese von Würdenträgern geehrt und traten mehrfach im israelischen Fernsehen auf. Dieses schockierende Ergebnis spiegelt die weit verbreitete politische Haltung in Israel wider, die Palästinenser als minderwertig ansieht, gegen die jede Form von Gewalt legitim erscheint.
Die deutschen Medien berichten über diesen systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt gegen Palästinenser entweder gar nicht oder deutlich weniger als über die bereits widerlegten Lügengeschichten vom 7. Oktober. Die Rolle der Medien besteht somit einerseits darin, die Palästinenser als die Bösen und Israel als die Guten darzustellen, was gleichzeitig eine Rechtfertigung für Menschenrechts- und Kriegsverbrechen an den Palästinensern liefert. Andererseits wird über die bereits vor dem 7. Oktober begangenen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen an den Palästinensern systematisch geschwiegen oder nur am Rande berichtet.
Es wird deutlich, dass die israelische Armee all diese Lügengeschichten benötigt, um ihren brutalen Genozid an den Palästinensern zu rechtfertigen. Dass deutsche Medien diese Lügen einerseits unkritisch reproduzieren und andererseits über die Zehntausenden getöteten Kinder in Gaza kaum berichten, verdeutlicht einmal mehr die Rolle der deutschen Medien beim Genozid in Gaza.
Es liegt daher auch in der Verantwortung der Leser, die von den Medien verbreiteten Nachrichten über Palästina stets kritisch zu hinterfragen und sich stattdessen umfassend aus unabhängigen Quellen zu informieren.