Aktionswoche „Es begann nicht am 7. Oktober“ des Kufiya-Netzwerks
In den vergangenen neun Monaten wurden in Palästina mehr als 100 Journalisten durch die israelische Armee getötet. Der israelische Genozid in Gaza und den besetzten palästinensischen Gebieten stellt laut dem Committee to Protect Journalists (CPJ) die tödlichste Angriffsserie auf Journalisten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1992 dar.
Die zunehmende Zerstörung der Infrastruktur und die katastrophale humanitäre Lage erschweren eine genaue Erfassung der Opferzahlen. Doch bereits jetzt ist klar, dass mit 116 laut CPJ oder sogar 140 getöteten Journalisten, wie das Palestinian Journalist Syndicate (PSJ) angibt, mindestens 10 Prozent der palästinensischen Medienschaffenden ausgelöscht wurden
Gezielte Tötungen und systematische Zerstörung
Das CPJ untersucht derzeit über 130 Fälle mutmaßlicher Tötungen. Insgesamt laufen Untersuchungen zu mehr als 500 israelischen Angriffen auf palästinensische Journalisten. Diese umfassen 35 Verletzte, 2 Vermisste, 54 Verhaftungen – davon sind 36 Journalisten weiterhin inhaftiert – sowie Drohungen, Körperverletzung, Cyberangriffe, Zensur und die Ermordung von Familienmitgliedern. Mindestens fünf der dokumentierten Todesfälle durch das CPJ waren gezielte Tötungen.
Reporter ohne Grenzen dokumentierte in mindestens 29 Fällen Verstöße gegen internationales Recht und hat bereits drei Klagen beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht, um Israels Vorgehen gegen palästinensische Journalisten zu ahnden.
Israel weist jede Verantwortung für gezielte Tötungen zurück. Oft rechtfertigt die israelische Seite das Töten von Medienschaffenden mit Terrorismusvorwürfen, wie im Fall der beiden Al-Jazeera-Journalisten al-Ghoul und al-Refee, die während ihrer Berichterstattung im Shati-Flüchtlingslager getötet wurden. Das israelische Militär behauptet, sie seien Mitglieder der Al-Qassam-Brigaden der Hamas gewesen. Irene Khan, UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit, wies diese Anschuldigungen jedoch entschieden zurück und betonte, dass Israel keine ausreichenden Beweise für eine Verbindung zwischen den Journalisten und militanten Gruppen vorgelegt habe.
Auch die Zerstörung journalistischer Infrastruktur wird systematisch vorangetrieben, wie Aufnahmen von Agence-France-Presse und Press House zeigen. Bisher wurden 73 Medienhäuser vollständig oder teilweise zerstört.
Ein altbekanntes Muster
Die gezielte Tötung von Journalisten durch die israelische Besatzungsmacht ist Teil eines langjährigen, gut dokumentierten Musters. Laut CPJ wurden in den letzten 22 Jahren mindestens 20 Journalisten gezielt von Israel getötet – ohne jegliche strafrechtlichen Konsequenzen. Stattdessen herrscht ein „Ermittlungstheater“, wie Hagai El-Ad von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem es nennt: Das Militär erklärt, die Truppen hätten in Angst gehandelt oder seien angegriffen worden, und der Fall wird intern abgehandelt. Terrorismusvorwürfe sind ein ständiges Thema, Zeugenaussagen werden systematisch als unzuverlässig abgetan, und letztlich enden die seltenen Prozesse stets mit Freisprüchen.
Auch die absichtliche Zerstörung von Medieninfrastruktur ist nichts Neues. Allein im Jahr 2021 zerstörte Israel 20 Medienbüros in Palästina.
Verwechslung ausgeschlossen
Das häufig vorgebrachte Argument des israelischen Militärs, man habe nicht gewusst, dass es sich bei den Zielen um Journalisten handelte, ist laut Carlos Martínez de la Serna vom CPJ unhaltbar: Israel habe vollständige Kenntnis über Gaza. Schon lange vor dem Angriff im Oktober 2023 wurde das Gebiet durch Drohnen intensiv überwacht und ausgeforscht. Asa Kasher, der 1994 den ethischen Verhaltenskodex des israelischen Militärs verfasste, betont: „Wenn ein Journalist eine klare Pressemarkierung trägt, ist dies für Drohnenpiloten zweifelsfrei erkennbar.“ Diese Aussage wurde bereits von drei Drohnenpiloten bestätigt.
Das Schweigen der deutschen Medien
Wie schon bei vielen anderen Gräueltaten, die Israel im vergangenen Jahr an der palästinensischen Bevölkerung verübte, schwiegen große Teile der deutschen Medienlandschaft auch zur beispiellosen Ermordung ihrer eigenen Kollegen. Deutsche Medien beteiligten sich weder an einem offenen Brief von über 70 Medienorganisationen, die internationalen Zugang zu Gaza forderten, noch an einem Brief europäischer Medienorganisationen, in dem Josep Borrell, der Vizepräsident der Europäischen Kommission, aufgefordert wurde, Journalisten in Gaza zu schützen. Einige deutsche Medien gingen sogar weiter und diffamierten die getöteten Journalisten. So konnte man im Liveblog der Tagesschau zur Tötung von al-Ghoul und al-Refee lesen: „Israel: Getöteter Journalist war Hamas-Kämpfer.“
Selbst in den wenigen Medien, die positive Ausnahmen darstellten, wie etwa die Solidaritätsbekundungen von SPIEGEL, taz und Süddeutscher Zeitung oder die Teilnahme von SPIEGEL und ZDF am „Gaza Project“, überwog das Schweigen. Oft wurden unkritisch Berichte der dpa übernommen, die sich ausschließlich auf israelische Behördeninformationen stützten. Hoffnung gibt jedoch eine neue Initiative deutscher Journalist, die sich für Pressefreiheit im Gaza-Krieg stark machen.
Ob ihre Forderungen, wie „Keine ungeprüfte Übernahme von Darstellungen von Kriegsparteien! Stattdessen: Quellenvielfalt, Einbettung in den historischen und politischen Kontext, Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit palästinensischem Journalisten“, durchgesetzt werden, bleibt abzuwarten.