Bericht über die Repression gegen Duisburger Palästina-Aktivisten

Am 16.05.24 um 6 bzw. 7 Uhr, wurden in Duisburg die Wohnungen von vier Palästina-Aktivistinnen und -Aktivisten durchsucht. Im Fokus dieser Repressionsmaßnahme stand die Gruppe Palästina-Solidarität Duisburg (PSDU). Das NRW-Innenministerium hatte die Gruppe zuvor verboten. Zudem wurde gegen einen der Betroffenen Strafanzeige gestellt und eine Erkennungsdienstliche Behandlung wurde angekündigt. Ziel war es, PSDU zu zerschlagen, indem Gelder, Laptops, Handys, Infomaterialien usw. beschlagnahmt wurden.

Fragliches Vorgehen der Behörden

Die Durchsuchungen dauerten zwischen zwei und sechs Stunden. Bei einem palästinensischen Betroffenen drangen die Beamten in die Wohnung ein, ohne zuvor zu klingeln. Bei allen Betroffenen wurden sämtliche Zimmer — auch die von Eltern, Kleinkindern und Mitbewohnern — durchsucht. Die Betroffenen wurden dabei nicht über ihr Recht aufgeklärt, bei der Durchsuchung dabei sein zu dürfen. Stattdessen wurden sie jeweils angewiesen, im Wohnzimmer sitzen zu bleiben, und unter Bewachung gestellt. Als einer der Betroffenen sein Recht einforderte, bei der Durchsuchung aller Zimmer dabei sein zu dürfen, weshalb diese nacheinander zu durchsuchen seien, lehnten die Beamten dies ab: Man wolle „nicht den ganzen Tag“ dort bleiben.

Die Polizei brachte zu den verschiedenen Orten „unabhängige Zeugen“, u. a. vom LKA (also selbst Polizei), dem Ordnungsamt und der Feuerwehr, mit. Einer der Betroffenen verlangte, einen eigenen Zeugen benennen zu können, was die Beamten mit dem Verweis auf ihre „unabhängigen“ Zeugen zurückwiesen.

Bei der Durchsuchung kam es zur üblichen Mischung aus Einschüchterung, Freundlichkeit und Lügen vonseiten der Polizei: Über Plaudereien über die schöne Wohnung wollte man die Betroffenen in Sicherheit wiegen und zum „Quatschen“ anregen. Manche Beamte behaupteten sogar, dass sie eigentlich auch „für Palästina“ wären. Überall wurde betont, dass man nichts dafür könne, die Vorwürfe konkret nicht kenne und nur Befehle ausführe.

Auf der anderen Seite wurden alle Betroffenen unter Druck gesetzt, Passwörter für konfiszierte Geräte herauszugeben, wobei auch Notsituationen (wie etwa anstehende Prüfungen) als Druckmittel genutzt wurden, indem behauptet wurde, dass die Geräte so in kurzer Zeit zurückgegeben würden. Mindestens ein betroffener wurde „unschuldig“ gefragt, ob sein Handy mit Face-ID gesperrt sei – es ist bekannt, dass die Polizei Leute dazu zwingt, ihr Gesicht vor die Kamera zu halten, um sich so einzuloggen. Auch nach „Mitgliederlisten“ wurde „ganz nebenbei“ gefragt. Bei der Durchsuchung des Schlafzimmers eines betroffenen Ehepaars wurde mehrfach lauthals gelacht, während die Beamten in privateste und intimste Sphären der Betroffenen eindrangen. Bei einer anderen Durchsuchung drangen die Polizisten sofort in die Wohnung und u. a. in das Schlafzimmer der Eltern ein, wo sich die teilweise noch unbekleidete Mutter der Betroffenen befand. Einem dritten Betroffenen wurde von einem Beamten vorgeworfen, Straftaten zu begehen, obwohl die betreffende Person weder vorbestraft noch rechtskräftig verurteilt ist. Außerdem fragte derselbe Polizist während der Sichtung von Infomaterialien provokant, wieso es denn „nichts zum 7. Oktober“ gäbe. Der Polizist führte damit die von den meisten seiner Kollegen zur Schau getragene „Neutralität“ ad absurdum und bewies, dass die Beamten selbst mindestens zum Teil stark von der herrschenden antipalästinensischen Propaganda geprägt sind. Wiederum andere Beamte erzählten ganz offen, dass sie an diesem Morgen Witze gemacht hätten, dass es ja auch Duisburger Polizeibeamte gewesen waren, die den Berliner Palästina-Kongress zerschlagen hatten — und dass sie nun zu einer ähnlichen Aktion ausrückten.

Außerdem wurde einem der Betroffenen, der sich weigerte, irgendetwas zu unterschreiben, fälschlicherweise erzählt, dass „alle drei anderen“ unterzeichnet hätten, um ihn dazu zu bewegen, doch seine Unterschrift herzugeben.

Bei mindestens zwei Betroffenen waren Medien vor Ort, die zum Teil die Häuser sowie Verwandte und Bekannte abfilmten. Auch die Adressen wurden von den Medien zum Teil öffentlich bekanntgegeben. Woher die Medien wussten, wo genau die Razzien stattfanden, konnten oder wollten die Beamten nicht mitteilen. Sie verwiesen auf Nachfrage auf angeblich unbekannte Informanten in ihren eigenen Reihen, gaben sich selbst genervt von den Kamera-Teams und mutmaßten, die Medien (konkret der WDR) könnten womöglich regelmäßig den Polizeifunk abhören, um an solche Infos zu kommen.

Was kam bei rum?

Das Ergebnis der großangelegten Durchsuchung: Die Beamten beschlagnahmten eine mittlere fünfstellige Zahl an Flyern und Stickern sowie ein paar Plakate mit Aufschriften wie „Free Palestine“ oder aufgedruckten Palästinaflaggen, Wassermelonen usw. Außerdem etwa zwei Dutzend Palästina-Fahnen, mehrere Kufiyas, mehrere Handvoll Buttons und Pins, ein paar Armbänder, mehrere Bücher, eine Lautsprecheranlage, einen Pavillon, ein Megafon, mehrere selbstgebastelte Spendendosen usw., die zum Teil privates Eigentum der Betroffenen oder auch von unbeteiligten Dritten sind. Daneben nahmen sie sowohl privates als auch als Spenden für PSDU gesammeltes Geld mit. Und sie entwendeten private Laptops, Handys sowie USB-Sticks und MP3-Player. Außerdem wurden Handys und Festplatten von Ehepartnern und anderen zufällig anwesenden Verwandten von den Polizisten mitgenommen. Weder wurden Waffen noch Rauschgift noch Sprengstoff noch andere illegale Gegenstände oder Substanzen gefunden. In einer der Wohnungen wurde auf Befehl von „ganz Oben“ sogar ein Spürhund eingesetzt — ohne Ergebnis.

Der Kontext und das Ziel

Es handelt sich weder um die ersten Hausdurchsuchungen noch die ersten Verbotsverfügungen gegen palästinasolidarische Menschen und Gruppen in Deutschland in den letzten sieben Monaten: Im November wurde das internationale Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun in Deutschland verboten — die Genossen kämpfen bis heute juristisch gegen dieses Verbot. Im Zuge dieses Verbots kam es zu mehreren Durchsuchungen. Am selben Tag wurde auch ein Betätigungsverbot für die Hamas erlassen und es wurden Wohnungen von Menschen durchsucht, die der Hamas angeblich „nahestehen“. Auch in der Folgezeit kam es in Deutschland, vor allem in Berlin, immer wieder zu Razzien gegen Palästina-Aktivistinnen und -Aktivisten, vor allem im Vorfeld des von der Polizei und der Stadt Berlin verbotenen und aufgelösten Palästina-Kongresses. Diese dienten offensichtlich vor allem der Einschüchterung.

Gegen die Gruppe PSDU läuft seit ihrer Gründung vor ziemlich genau einem Jahr eine Hetzkampagne, die von dem rassistischen Online-Blog Ruhrbarone angestoßen wurde. Dieser wirft PSDU u. a. Antisemitismus und „Terror-Unterstützung“ vor. Im Oktober wurde diese Kampagne von Teilen der deutschen Leitmedien (WDR, WAZ, Springer-Presse) aufgenommen. Außerdem stellten die Behörden mehrfach Strafanzeige gegen mehrere PSDU-Aktivisten, bisher ohne Erfolg. Die Behauptung, PSDU sei antisemitisch und richte sich gegen die „Völkerverständigung“, wie es in der Begründung des NRW-Innenministeriums heißt, wird durch verschiedene schriftliche und mündliche Äußerungen der Gruppe widerlegt. All das ist natürlich im Kontext der allgemeinen Repression gegen die Palästinasolidaritätsbewegung in Deutschland zu sehen, die seit Oktober immer absurdere Züge angenommen hat.

Das PSDU-Verbot ist nur ein weiterer Schlag gegen die Bewegung für Palästina in Deutschland. Und es ist ein weiterer Anschlag auf die demokratischen Grundrechte aller auf freie Meinungsäußerung und Organisierung. PSDU hat nichts gemacht, außer legale Versammlungen zu organisieren, Informationen und Bildung in Form von Flyern, Infomaterial, Dokumentationen und Lesekreisen zu verbreiten und die Meinung zu kundzutun, dass die Palästinenser ein Recht haben, in ihrem Land frei von Unterdrückung, Apartheid, Besatzung und Kolonialismus zu leben. Und dass sie das völkerrechtlich verbriefte Recht haben, sich gegen Unterdrückung, Apartheid, Besatzung und Kolonialismus zu wehren. Da ein Organisationsverbot auch das Verbot einer „Ersatzorganisation“ einschließt, wird allen PSDU-Aktiven nun faktisch ihr Grundrecht verwehrt, sich für ihre Meinung im Sinne Palästinas frei zu äußern und dafür auch mit anderen zusammenzuschließen. Es handelt sich um reine Willkür, die letztlich nicht nur alle palästinasolidarischen Gruppen, sondern überhaupt alle Organisationen und Vereine treffen kann, die der in diesem Land herrschenden Politik gegenüber kritisch auftreten.

Es liegt zudem der Verdacht nahe, dass die heutigen Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit dem gestern gegen NRW-Innenminister Reul bekanntgewordenen Korruptionsverdacht zusammenhängen. Dass Politiker in Situationen, in denen sie unter Beschuss stehen, zu symbolträchtigem Aktionismus greifen, ist bekannt. Ein gegen vermeintliche „Hamas-Unterstützer“ inszenierter „Schlag“ ist eine tolle Ablenkung. Dieser Verdacht liegt auch deshalb nahe, weil die Verbotsverfügung gegen PSDU bereits auf den 18. März datiert ist. Der Hausdurchsuchungsbefehl wegen der hinzukommenden Strafanzeige gegen einen der Betroffenen ist ebenfalls schon rund einen Monat alt. Sie lagen also in der Schublade und brauchten nur hervorgezaubert zu werden, sobald sich ein Anlass oder eine Notwendigkeit ergab. Umso absurder ist die Behauptung in der Verbotsverfügung, dass das PSDU-Verbot „unverzüglich“ zu erfolgen habe, weil die Gruppe angeblich den „öffentlichen Frieden“ gefährde. Gefahr im Verzug — aber dann zwei Monate abwarten?

Wie geht es weiter?

Die Betroffenen werden alle rechtlichen Schritte einleiten, um im Nachhinein gegen die Hausdurchsuchungen sowie gegen die Verbotsverfügung gegen PSDU vorzugehen. Ebenfalls prüfen die Betroffenen rechtliche Schritte gegen die Darstellung durch Politik und Medien als „Antisemiten“, „Hamas-Unterstützer“ usw. Auch was die Strafanzeige und die Erkennungsdienstliche Behandlung angeht, stehen sie bereits mit Anwälten in Kontakt.

Es gibt schon mehrere öffentliche Solidaritätserklärungen und es wurden Protestaktionen angekündigt. Bereits während der Durchsuchungen versammelten sich Freunde, Verwandte und Mitstreiter der Betroffenen vor den Gebäuden, um ihre Solidarität auszudrücken und den Betroffenen beizustehen.

Die Internet-Accounts von PSDU dürfen nicht mehr bespielt werden, solange die Gruppe als „verboten“ gilt. Die Betroffenen können sich derzeit daher nur als Einzelpersonen an die Öffentlichkeit wenden und sind auf die Unterstützung und die Reichweite anderer Gruppen sowie Medien angewiesen, um sich zum Vorfalle zu äußern und über die Entwicklung aufzuklären.

Mindestens einer der Betroffenen hat heute eine Verfügung der Polizei bekommen, die es ihm verbietet, an einer Kundgebung gegen das PSDU-Verbot teilzunehmen. Außerdem wurde von NRW-Innenminister Reul angekündigt, eine Demonstration, die für den 25. Mai 2024 in Duisburg geplant ist, zu verbieten. Diese Demonstration wurde aber nicht von PSDU organisiert, die Gruppe hat lediglich, wie zahlreiche Gruppen aus NRW, zu dieser Demo aufgerufen. Auch hier steht der juristische Kampf noch aus.

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