Stand: 09.07.24
Leitfaden Auflagen, Verbot, Eilantrag
Auflagen
- Die Behörde kann euch Beschränkungen auferlegen, wenn die „öffentliche Sicherheit oder die Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.“ (VersammlFrhG_HE, §14, 1) Viele Auflagen der letzten Zeit zu Palästina entsprechen nicht dieser Voraussetzung. Die Beschränkungen müsst ihr euch sehr genau anschauen und überlegen, ob ihr dagegen vorgeht. Wenn der Zweck eurer Versammlung dadurch unangemessen eingeschränkt wird, solltet ihr dagegen vorgehen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ihr bestimmte Orte ausgewählt habt und die Behörde diese euch untersagen möchte. Es kann also alle möglichen technischen/organisatorischen Fragen betreffen.
- Einschränkungen, die eure Meinungsfreiheit betreffen, sind besonders wichtig. Also zum Beispiel das Untersagen bestimmter Parolen. Hier solltet ihr unbedingt prüfen, dagegen vorzugehen. Oftmals werden solche Beschränkungen erlassen, obwohl rechtlich nicht klar ist, ob diese Parolen strafrechtlich relevant sind
- Es gibt politische Auflagen, die dazu dienen, ein negatives Bild von der Demo herzustellen. Ihr müsst wissen, dass die Ordnungsbehörden die Auflagen auch an die Presse weiter geben. Diese kann dann berichten, dass die Demo die Auflage bekommen hat, nicht zum Hass gegen Juden aufzurufen. Damit entsteht das Bild, dass die Anmelder diese Absicht gehabt hätten und von der Behörde deshalb diese Verbote erlassen werden müssten. Deshalb ist es wichtig, gegen Auflagen vorzugehen, auch wenn man gar nicht die Absicht hatte, das zu rufen. Dazu muss man dann öffentliche Mitteilungen machen und genau das erklären, dass man sich gegen eine diffamierende Auflage wehrt, die ein Bild von der Versammlung erzeugen sollte, das nicht wahrheitsgemäß ist. Das wurde von zahlreichen Gerichten bereits anerkannt.
- Ihr solltet euch auf mögliche juristische Schritte vorbereiten. Dabei ist eine enge Kommunikation mit dem Rechtsbeistand wichtig.
- Allerdings solltet ihr die politischen Entscheidungen treffen. Anwälte sollen uns helfen, diese umzusetzen.
- Wichtig ist, dass ihr die Prozesse durch Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Dabei solltet ihr Aufklärung betreiben, ohne aber Angst zu verbreiten und zu demobilisieren.
- Es kommt mittlerweile auch häufiger vor, dass die Polizei vor Ort inhaltliche Auflagen erlässt. Hier müssen wir noch recherchieren, ob das unter welchen Umständen zulässig ist.
- Eine weitere Möglichkeit der Repression ist, dass die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft und/oder des Innenministeriums Aussagen auch dann ahndet, wenn sie explizit nicht Teil der Auflagen sind. Die Begründung lautet meistens, dass es sich um einen Anfangsverdacht einer Straftat handeln könnte. Das ist ein vage Behauptung, die oftmals vorher von den Gerichten nicht bestätigt wurde, aber dennoch von der Exekutive als Vorwand genutzt wird, um die Versammlung zu stören oder einzuschränken.
- Dann müsst ihr vor Ort zum einen mit der Polizei verhandeln und im Zweifelsfall entscheiden, diese de-facto-Auflage zu akzeptieren oder in Kauf zu nehmen, dass dann Verfahren eingeleitet werden. In jedem Fall solltet ihr die Teilnehmer informieren und darauf achten, dass dadurch der Polizei nicht die Möglichkeit der Eskalation gegeben wird. Ihr solltet weiterhin ruhig und sachlich bleiben.
Verbot
- Das Verbot einer Versammlung ist ein sehr weitreichender Eingriff in die Grundrechte. Er darf nur stattfinden, wenn die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist und Beschränkungen der Versammlung dazu nicht ausreichen (VersammlFrhG_HE, §14)
- Die Verbote im Zuge der Palästina-Solidarität dürften alle illegal gewesen sein, weil überhaupt nicht nachgewiesen werden kann, dass davon eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen wäre. Es waren Verbote bestimmter politischer Inhalte und Positionen.
- Bei einem Verbot der Demonstration solltet ihr je nach Zielgruppe, politischem Kontext etc. Entscheidungen treffen:
Wenn die Zielgruppe eher von Repression betroffen ist (Migranten, Racial Profiling, etc.), aber nicht so erfahren im Umgang mit Repression ist, solltet ihr schnell die Info vermitteln und demobilisieren. Hier gibt es auch die Möglichkeit, selbst vor Ort zu sein oder Vertreter hinzuschicken, um Leute wieder wegzuschicken; dazu muss man wissen, dass es strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, weil behauptet wird, dass es man eine verbotene Versammlung habe durchführen wollen. - In so einem Fall kann es auch sein, dass nicht demobilisiert werden kann, weil viele Leute schon vor Ort sind, weil z.B. die Behörden/die Gerichte ihre Entscheidungen sehr kurzfristig mitteilen. Hier muss die Gruppe entsprechend der Lage entscheiden, ob es wichtiger ist mögliche ordnungsrechtliche Konsequenzen in Kauf zu nehmen und dafür die Menschen, die mobilisiert wurden, nicht alleine zu lassen.
Eilantrag
- Gegen Auflagen und gegen ein Verbot kann mit einem Eilantrag vorgehen. Das ist kein reguläres Klageverfahren, das oft sehr lange dauert. Da es aber um Grundrechte geht, die besonders geschützt sind, gibt es die Möglichkeit vor Gericht dagegen noch vor Beginn der Versammlung vorzugehen. Die Gerichte müssen innerhalb der Zeit bis zu Beginn der Versammlung entscheiden. Das ist auch der Fall. Sie können diese Anträge nicht aufgrund von mangelnder Zuständigkeit, Zeit oder sonstigen Gründen ablehnen. Sie müssen dazu eine Entscheidung fällen, also dem Antrag stattgeben oder ihn ablehnen.
- Man muss den Eilantrag zunächst beim Verwaltungsgericht der Stadt stellen. Falls er dort abgelehnt wird oder die Behörde gegen einen erfolgreichen Antrag Widerspruch einlegt, geht es zur nächsten Instanz, dem Verwaltungsgericht auf Landesebene (meistens heißen sie Oberverwaltungsgericht).
- Wird dort euer Antrag abgelehnt, könnt ihr zum höchsten Gericht gehen, das für Grundrechte zuständig ist, dem Bundesverfassungsgericht (BVG). Dort gibt es einen extra eingerichteten Notdienst für schnelle Entscheidungen in diesen Fällen. Wenn man eine gute Argumentation hat und gut dargelegt hat, warum ein Verbot oder eine Auflage rechtswidrig ist bzw. eure Grundrechte unverhältnismäßig einschränkt, sollte man diesen Schritt machen. Eine Entscheidung des BVG hat auch eine gewisse Strahlkraft für weitere Entscheidungen.
- Der Eilantrag sollte gut begründet sein, muss aber nicht unbedingt besonders lang oder ausführlich sein. Wichtig ist, dass die Argumentation stichhaltig ist. Dazu gehört, schon eine inhaltliche Ausführung und beispielsweise auch Darlegung vom Verlauf der Verhandlung mit der Behörde bzw. deren Verhalten.
- Die Begründung sollte also genau und stichhaltig sein. Dafür müsst ihr euch gut damit befassen und austauschen. Ihr könnt nicht davon ausgehen, dass Anwälte das einfach übernehmen oder machen könnten. Ihr solltet einen Anwalt finden, der engagiert ist und bereit ist, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Die politische und inhaltliche Argumentation wird aber vor allem in euren Händen liegen.
- Für Eilverfahren gegen Verbote oder Auflagen kann es auch sinnvoll sein, dass es einen Austausch mit anderen Aktivisten gibt, ohne allerdings den Brei durch zuviele Köche zu verderben. Für die Anregung und Hilfestellung sollten Beispiele von Begründungen zugänglich gemacht werden.
- Falls es Hinweise darauf gibt, dass ihr vor den oberen Gerichten ein negatives Urteil bekommen solltet, könnt ihr abwägen, keinen Eilantrag gegen eine Auflage oder ein Verbot stellen. Das solltet ihr aber nur im Falle der Auflagen überlegen, weil es dort zum Teil schon negative Urteile gab. Verschafft euch dazu einen Überblick und tauscht euch aus. Gegen ein Verbot sollte man immer vorgehen, da deren Zulässigkeit sehr unwahrscheinlich ist.
- Insgesamt ist wichtig: Es geht hier um unsere Grundrechte, ohne die eine demokratische Willensbildung nicht möglich ist. Das heißt, dass es wichtig ist, sie soweit wie möglich rechtlich zu vertreten. Negative Urteile sind zwar zunächst nachteilhaft, aber sie zeigen uns auch etwas über die politische Entwicklung der verschiedenen Gewalten im Rechtsstaat. Schlechter ist, gar nicht erst für unsere Grundrechte einzutreten und sie einzufordern.