Verteidigungsrede von Paul

Vor dem Frankfurter Amtsgericht gegen die Anklage der „Billigung von Straftaten“ nach §140 StGB (20.11.24)

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Paul wurde wegen angeblicher Billigung von Straftagen nach §140 angeklagt, weil er in einer spontan gehaltenen Rede gesagt hat, dass die Palästinenser eine Inspiration sind und der palästinensische Widerstand legitim ist. Paul hat sich dazu bekannt, diese Aussagen getätigt zu haben und verteidigt sie als wichtigen Ausdruck der Solidarität mit Palästina und des Kampfs gegen den damals begonnenen Genozid an den Palästinensern. Er verteidigt sein und unser aller Recht auf Meinungsfreiheit. Er wurde zu 40 Tagessätzen a 20 Euro verurteilt und Berufung gegen das Urteil eingelegt, um den Kampf für Meinungsfreiheit in Deutschland und für die legitimen Rechte der Palästinenser auf Freiheit und Widerstand fortzusetzen.

In seiner Verteidigungsrede ging Paul ausführlich auf die Fragwürdigkeit des Tatvorwurfs seitens der Staatsanwaltschaft ein, die erst wegen Volksverhetzung, dann wegen Androhung von Straftaten und schließlich wegen der Billigung von Straftaten anklagte. Danach ging er auf den Vorwurf der Billigung von Straftaten ein und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Hierbei ist wichtig, dass eine politische Bewertung eines Ereignisses wie des 7. Oktobers oder anderer bewaffneter Konflikte möglich sein muss, ohne dafür den Vorwurf der Billigung von Straftaten gemacht zu bekommen. Sonst wäre jede Äußerung zu Konflikten nicht mehr möglich. Danach geht die Rede auf die Geschichte der Vertreibung des palästinensischen Volks und insbesondere des krassen Unrechts, das von der Besatzungsmacht Israel ausgeübt wird. Danach wird auf völkerrechtliche Bestimmungen zum Widerstandsrecht kolonisierter Völker eingegangen. Im letzten Teil geht die Rede auf den 7. Oktober ein, welche Vorgänge ungeklärt sind, welche Rolle die Hannibal-Doktrin spielt und was Paul mit seinen Aussagen zur Inspiration und zur Legitimation des palästinensischen Widerstands gemeint hat. Richterin und Staatsanwältin sind mit keinem Wort auf die Inhalte der Rede eingegangen.

Heutige Situation

Heute ist der 410. Tag des Genozids in Gaza. Am Montag hat auch die zuständige Sonderkommission der UN einen Bericht vorgelegt, in dem dokumentiert ist, dass Israel nachweislich einen Genozid in Gaza verübt, bei dem insbesondere Hunger als Waffe eingesetzt wird. Die stellvertretende Leiterin der UN-Koordinationsstelle für humanitärer Angelegenheiten Joyce Msuya bezeichnet die seit dem 6.Oktober laufende Offensive der israelischen Armee in Nordgaza als „verschärfte, extreme und beschleunigte Version der Schrecken des letzten Jahres“. In dem gesamten Zeitraum wurde am 11. November das einzige Mal eine Lieferung von Lebensmitteln durch das „World Food Program“ zugelassen. Einen Tag darauf berichtete die UN-Koordinationsstelle von gezielten Angriffen der israelischen Armee auf Menschenmengen die in der Erwartung standen die Lebensmittel im Empfang zu nehmen. Ich könnte an dieser Stelle noch Stunden lang über die Verbrechen im Zuge des laufenden Genozids in Gaza berichten.

Meine Lage in Deutschland

Genau gegen diese von der Deutschen Regierung maßgeblich mitgetragenen Verbrechen möchte ich seit mehr als einem Jahr protestieren. Tagtäglich denke ich an das Leid in Gaza, was mich sehr traurig macht. Noch beschämender ist es dann für mich, dass ich selbst Bürger eines Staates bin, der bis heute der zweit wichtigste Waffenlieferant an Israel ist und vor dem Internationalen Gerichtshof Rückendeckung leistet. Ich erlebe, dass bis heute Demonstrationen und einzelne Personen, die sich gegen das Unrecht in Gaza äußern mit staatlichen Repressionen zu kämpfen haben. Es ist ein trauriger Zustand, dass man das Gefühl hat, hier nur erschwert sich gegen einen Genozid äußern zu können. Ich sehe mein heutiges Verfahren als Teil allgemeiner Bestrebungen die Bewegung gegen den laufenden Genozid in Gaza zu schwächen.

Schilderung 13.10

Dieser Eindruck verfestigte sich bereits in der Woche nach dem 7.Oktober vergangenen Jahres. Es schien mir, als ob die deutschen Medien und Politiker bereit waren alle möglichen Lügen zu den Geschehnissen an jenen Tag zu verbreiten, um so einen Konsens für den Genozid in Gaza zu schaffen. Die angebliche Enthauptung von 40 Babys durch Palästinenser entpuppte sich bereits nach wenigen Tagen als Falschmeldung. Auf der anderen Seite sah ich tagtäglich die Bilder toter Kinder und wüster Zerstörung, in Nutzung von unter Anderem Phosphorbomben durch Israel im Gaza-Streifen. Ich sah die Entmenschlichung der Palästinenser in den Aussagen des damaligen israelischen Kriegsministers Yoav Gallant, welcher diese als „menschliche Tiere“ bezeichnete, als er eine vollumfängliche Blockade des Gebiets verkündete.

Zeitgleich hörte ich am 10. Oktober von den Aussagen des SPD-Politikers Michael Roth im Deutschlandfunk, dass Deutschland Israel nun in seiner Kriegsführung „freie Hand“ gewähren solle. Ich wollte in der Folge eine Kundgebung gegen jene Aussagen am 12.10 am „myzeil“ besuchen Diese wurde unmittelbar vor Beginn verboten und sämtliche Personen, die nur eine Kuffiya oder eine Palästinaflagge trugen, wurden von der Polizei mit Platzverweisen weggeschickt. Am folgenden Tag war ich bei der Pressekonferenz erneut geschockt von den polizeilichen Maßnahmen und Aufgebot. Ich sah die Meinungsfreiheit in Deutschland für Leute, welche sich gegen den Genozid und in Solidarität mit dem palästinensischen Volk positionieren wollten, ernsthaft gefährdet. Im Zuge der Pressekonferenz reichte es aus, dass ich nur meine Palästinaflagge hielt und einmal „From the river to the sea, Palestine will be free“ rief, um von der Polizei festgenommen zu werden. Während der Festnahme thematisierte ich zunächst die schonungslose Ermordung von Kindern und Frauen durch die israelische Kriegspolitik.

Ich kritisierte die Propaganda der deutschen Medien, verglich das Vorgehen der israelischen Armee mit dem Genozid gegen die Herero und Nama und traf dabei die Aussagen, für die ich mich heute vor dem Gericht verteidigen muss.

Welcher Paragraph darf es sein?

Anschließend wurde ich mit zur Polizeiwache genommen, wo mir mitgeteilt wurde, dass nun ein Verfahren gegen mich wegen Verdacht auf Volksverhetzung eröffnet werde.

Ich halte das Verfahren, mit dem ich jetzt konfrontiert bin für eine Schande für den Rechtsstaat.

Die Polizei wusste anscheinend selbst nicht, dass ich angeblich Straftaten gebilligt hatte, als dass mir bei meiner Festnahme zunächst Volksverhetzung vorgeworfen wurfe

Dann wurde mir mitgeteilt, dass eine Hauptverhandlung wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach §126 StGB stattfände. Und jetzt ist es die Billigung von Straftaten nach §140 weswegen ich vor Gericht bin.

Wenn sogar die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Monate braucht, um zu erkennen, dass ich nicht zu Straftaten aufgerufen habe, sondern Straftaten gebilligt haben soll, dann stellt sich für mich die Frage, inwieweit die Eignung für eine Störung des Öffentlichen Friedens durch Billigung gegeben ist.  Mir scheint, als ginge es gar nicht darum, dass meine Äußerungen tatsächlich einen Straftatbestand erfüllt habe, sondern darum, dass solche Aussagen nicht kriminalisiert werden sollen. Es wirkt wie ein politisch motivierter Prozess, der geführt wird, weil die Staatsanwaltschaft oder die Weisungsgeber bestimmte politische Positionen haben und oppositionelle Positionen mundtot machen wollen. Nicht unbedingt auf Grund von Weisungen, vorauseilender Gehorsam wäre ebenso plausibel für mich.

Zum Vorwurf

Jetzt zu dem konkreten Sachverhalt:

Als Billigung von Straftaten werden folgende Aussagen von mir angeführt, die Teil meiner spontan gehaltenen Rede waren:

1. Sie sind unsere Inspiration!

2. Der Palästinensische Widerstand ist legitim!

Für eine Strafbarkeit nach §140 müsste ich mindestens Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen gebilligt haben. Ich bin kein Jurist, aber so wie ich das verstehe sind für die Strafbarkeit einer Äußerung nach §140 Nr. 2 StGB zwei Bedingungen zu erfüllen. Einerseits muss ich Objektiv eine Äußerung getätigt haben, die Straftaten billigt und das andererseits auch subjektiv gewollt haben.

Objektive Ebene

Zunächst zum objektiven Geschehen und Inhalt:

Die genannten Zitate haben objektiv keinen Bezug zu konkreten Straftaten. Viel mehr wird aus dem Kontext des 7.10.2023 und meinen Äußerungen zum palästinensischen Widerstand eine Billigung von Straftaten die am 07.10.2023 begangen worden sein sollen unterstellt.

Welche konkreten Straftaten soll ich denn gebilligt haben? Ich habe schlicht nichts zu irgendwelchen konkreten Straftaten gesagt. Ich sprach von Widerstand, von Widerstand gegen Unrecht. Selbst wenn der Begriff Widerstand mit der Al-Aqsa-Flut gleichgesetzt wäre, würde eine Billigung dieser, nicht einer Billigung aller mit ihren verbundenen Handlungen entsprechen.

Die Behauptung, „Der Sturz Saddam Husseins war richtig und notwendig“ stellt ja auch keine Billigung des Verbrechens der Aggression dar, obwohl wesentlichster Teil des Sturzes der völkerrechtswidrige Angriffskrieg war, den die USA und ihre Verbündeten geführt haben. Bei der Behauptung, „Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung“, die im letzten Jahr gebetsmühlenartig in allen Talkshows, in Bundespressekonferenzen, in Parlamenten und Interviews von Politikern immer und immer wieder wiederholt wurde und das auch ganz konkret in Bezug auf Kriegsverbrechen, die die Israelische Armee beging, wird niemandem Vorgeworfen dadurch Kriegsverbrechen zu billigen. Daher erscheint dieser Prozess auf mich nicht nur wie ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern auch als Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei den ganzen Kriegen der letzten Jahrzehnte, egal ob es um den Vietnamkrieg, den Irakkrieg oder Afghanistankrieg geht, wird eine Billigung der Kriege nie als Billigung dabei geschehener Kriegsverbrechen gewertet. Ansonsten wäre jede politische oder wissenschaftlicher Auseinandersetzung über Kriege sowie eine Parteinahme grundsätzlich unmöglich und die deutschen Gefängnisse überfüllt mit Journalisten und Politikern. Objektiv ist der gesamte Tatvorwurf der, dass konkrete Wörter und Sätze, die eine klare Bedeutung haben und in einem zeithistorischen und auch unmittelbar situationsbezogenen Kontext geäußert wurden, eigentlich ganz anders gemeint seien und von Dritten so verstanden werden können und eben nicht die tatsächlichen Inhalte meiner Rede.

Eine Strafbarkeit dieser Äußerungen halte ich für einen unzulässigen Eingriff in die Meinungsfreiheit und würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Vor allem im Kontext, der nicht lange zurückliegenden Ausweitung des Straftatbestands auf zukünftige Straftaten muss das was unter Billigung zu verstehen ist restriktiv ausgelegt werden.
Wenn ich Solidarität mit den Uyguren oder Kurden und ihrem Widerstand kundtue und morgen ein Anschlag in Peking oder Istanbul durch eine Widerstandsorganisation stattfände, wäre das natürlich auch keine Billigung von Straftaten.  

Selbst wenn zum Schluss gekommen wird, dass meine Aussagen objektiv eine Billigung von Straftaten darstellt, stellt sich für mich die Frage inwieweit diese Aussagen eine potenzielle Verbrechensfördernde Wirkung hatten? Sie haben im Gegenteil auf ein sich anbahnendes Verbrechen, einen Genozid aufmerksam machen sollen und die deutsche Komplizenschaft dabei bekämpft. Nicht mal die objektiven Voraussetzungen für eine Strafbarkeit sind meiner Ansicht nach erfüllt.

Subjektive Ebene

Und selbst wenn das Gericht den Ausführungen der Staatsanwaltschaft folgt und die

Äußerungen objektiv als Billigung von Straftaten versteht scheitert die Strafbarkeit an der subjektiven Tatseite. Um den intendierten Inhalt meiner Äußerung weiter auszuführen ist der spezifische historische Kontext wichtig.

Eine Geschichte der Vertreibung

Der Gaza-Streifen in seiner Form vor dem 7.Oktober entstand historisch grundlegend im Zuge der „Nakba“. Von den damals insgesamt 800.000 vertriebenen Palästinensern, fanden rund 250.000 Zuflucht in dem kleinen Küstenstreifen, welcher zuvor lediglich 80.000 Einwohner hatte. Die Vertriebenen stammten zu einem großen Teil aus den angrenzenden Gebieten und leben somit in der bizarren Situation von ihrem Zufluchtsort aus stets ihre Heimatregionen sehen zu können, wobei Ihnen die Rückkehr seitjeher systematisch verwehrt wird. Bis heute heißt die Region um den Gaza Streifen herum auch der Gaza Envelope, weil die dortigen Kibbutze als Militärposten zur Verhinderung von Versuchen der vertriebenen Palästinenser in ihre Heimatregionen zurückzukehren und zur Unterstützung militärischer Operationen dienen.

Der Gaza Streifen wurde im Zuge des Kriegs von 1967 wie die sämtlichen anderen Teile des früheren brit. Mandatsgebiets durch Israel besetzt. Der Internationale Gerichtshof hat erst vergangenen Juli festgestellt, dass der Gaza-Streifen genau wie die anderen Gebiete seitdem unter kontinuierlich Besatzung steht. Für den andauernden Status der Besatzung spielt es also keine Rolle, dass seit 2005 keine israelischen Siedler mehr in dem Gebiet sind. Im Zuge der „Osloer Abkommen“ 1993 wurde die Besatzung verschärft. Sie hat katastrophale Folgen für die Bevlkerung in Gaza und bereits 2009 lebten laut Angaben von Human Rights Watch 70-80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Ich könnte an dieser Stelle noch auf unzählige Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaftler und Gerichtsurteile verweisen. Fakt ist, dass Israel seit Jahrzehnten systematisch verherrende Menschrechtsverletzungen im Gaza Streifen verübt. Die Verabschiedung eines politischen Programms durch die Knesset im Dezember 2022, wonach das gesamte Gebiet vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer ausschließlich jüdisch sein sollte verdeutlicht unter Anderem das es für die Palästinenser tendenziell immer schlimmer werden würde.

Völkerrechtliche Urteile zum Widerstand

Ich möchte an dieser Stelle auf zwei grundsätzliche Resolutionen im Völkerrecht verweisen. UN-Resolution 2625 von 1970 betont das Recht der Völker auf „Maßnahmen und Widerstand“ gegenüber „Gewaltmaßnahmen im Bemühen um die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts.“

UN-Resolution 45/130 „bekräftigt Legitimität des Kampfes der Völker für Unabhängigkeit, territoriale Integrität, nationale Einheit und Befreiung von Kolonialherrschaft, Apartheid und ausländischer Besatzung mit allen Mitteln, inklusive bewaffneten Kampfes.“ Der Sicherheitsrat der UN bekräftigte im vergangenen Juni erst unlängst mit der Resolution 2735 seine Bemühungen zu einer Zusammenführung der Westbank und Gazas in einem demokratischen Staat. Dementsprechend bekräftigte auch der Internationale Gerichtshof im Juli, dass die palästinensischen Gebiete eine territoriale Einheit bilden, deren „Einigkeit, Kontiguität und Integrität“ zu wahren sind. Dies ist weder in der Westbank noch in Gaza der Fall. Wie der Internationale Gerichtshof hervorhob, übt Israel nach wie vor „key elements of authority“ über den Gaza-Streifen aus. So hat es vollumfängliche Kontrolle über die Land und Seewege sowie den Luftraum und kontrolliert die Ein- und Ausreise von Menschen sowie den Handel.

Laut der UN-Charta und dem „Völkergewohnheitsrecht“ ist Israel angehalten die Rechte der besetzten Bevölkerung zu achten. Dies beinhaltet das Verbot von Gebietsnahmen, die Androhung/Nutzung von Gewalt und das Recht der besetzten Menschen auf Selbstbestimmung. Der IGH unterstreicht in seinen Ausführungen, dass internationale Menschenrechtsinstrumente explizit von einem Staat auch außerhalb seiner Landesgrenzen zu wahren sind und der Schutz von Menschenrechten gilt insbesondere auch im Fall von bewaffneten Konflikten und Besatzung.

Möglichkeiten zur Diskussion in einer Demokratie

Angesichts dieser historischen und rechtlichen Lage sollte es für mich in einem Rechtsstaat möglich sein meine Solidarität mit dem leidenden palästinensischen Volk zu äußern. Ein Volk welches gegen solch fundamentales Unrecht Widerstand leistet ist inspirierend für mich. Ich sehe es als einen Versuch der Abschreckung, wenn ich mich dann vor einem Gericht dem Vorwurf der „Billigung konkreter Straftaten“ gegenüber verteidigen muss. In einer Demokratie wünschte ich es mir, dass es möglich sei über die Mittel mit denen sich ein Volk gegen Besatzung, Vertreibung und Massakrierung zur Wehr setzten kann, offen diskutiert werden darf. Eine Gesinnungsprüfung in einem Gerichtssaal halte ich für keinen geeigneten Ort dafür. Ich wiederhole noch einmal, ich habe keine konkreten Straftaten gebilligt.

Fehlende Aufklärung des 7. Oktobers

Darüber hinaus sind die konkreten Umstände und Inhalte der Straftaten am 7. Oktober, die ich gebilligt haben soll, bis heute nicht öffentlich aufgearbeitet. Gerade am 13.10.2023, als die Presse unzählige Berichte verbreitete, die erwiesen Lügen waren, wie die bereits benannte Behauptung, dass 40 geköpfte Babys gefunden wurden, war die Situation noch undurchsichtiger. Auf eben jene unklare Faktenbasis habe ich auch in meiner Rede Bezug genommen, als ich sagte: „Wir glauben nicht den Lügen des israelischen Besatzungsregimes“ Wie kann ich denn Straftaten billigen, wenn ich nicht wissen kann, welche Straftaten begangen worden sind?

Hannibal Doktrin

Bis heute ist unklar, wie viele Menschen von den palästinensischen Kämpfern getötet wurden. Laut Haaretz starben am 7.Oktober 759 israelische Zivilisten, 59 Polizeikräfte und 368 Soldaten. Israel lässt bis heute keine unabhängige Untersuchung der Vorfälle zu. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass das israelische Militär an jenem Tag selbst israelische Bürger umbrachte, um deren Geiselnahme zu verhindern. Dieses Vorgehen ist bekannt als „Hannibal Doktrin“ und leitet die israelische Armee dazu an die Geiselnahme israelischer Bürger, um jeden Preis zu verhindern. Im Zuge der Operation „Protective Edge“ 2014 geriet der damalige Generalleutnant Hadar Goldin in Rafah in Gefangenschaft. Die israelische Armee rückte daraufhin in die Gegend, wo sich der Vorfall ereignete, ein und beging ein Massaker, dem rund 150 Palästinenser und eben jener Hadar Goldin zum Opfer fielen. Es macht Sinn für Israel so rabiat vorzugehen, weil die Gefangenentausche mit dem palästinensischen Widerstand für sie extrem kostspielig sind. 2006 wurde der gefangen genommene Soldat Gilat Shalid freigelassen, wofür alleine 1027 Palästinensische Gefangene freigelassen wurden. In Israel waren vor dem 7.Oktober über 5.000 Palästinenser außerhalb ihrer Heimat und somit völkerrechtswidrig in Haft. Davon über 1.000 in Administrativhaft, also auf unbestimmte Zeit. In Bezug auf die Geschehnisse am 7.Oktober bezeichnete der Oberst der israelischen Luftwaffe Nof Erez in einem Podcast der Haaretz bereits im November vergangenen Jahresdas Vorgehen der israelischen Armee am 7.Oktober als „mass Hannibal“. Ein UN-Bericht im vergangenen Juni bezeugte bereits von „starken Anzeichen für die Anwendung der Hannibal Doktrin an jenem Tag durch das israelische Militär“.  

Was gemeint war

Ich habe jetzt viel dazu gesagt, was ich nicht gesagt und was ich nicht gemeint habe sowie ausreichend Kontext hergestellt, um hoffentlich verständlich machen zu können was ich gemeint habe. Seit dem 7. Oktober sah ich mich in meiner Meinungsfreiheit krass eingeschränkt, als dass ich meinen Unmut über einen von Deutschland unterstützen beginenden Genozid in der Öffentlichkeit nicht äußern konnte. Die Geschehnisse an jenem Tag wurden lediglich als eine Aneindanderreihung verschiedener Straftaten in den Medien dargestellt.

Dabei war die sogenannte Al-Aqsa-Flut viel mehr als das.

Abstrakt war die Al-Aqsa-Flut ein Widerstandsakt, gegen Besatzung, gegen die Verweigerung des völkerrechtlich Verankerten Rückkehrrechts der Palästinenser, gegen Apartheid und gegen ethnische Säuberungen. Außerdem war sie ein Symbol, ein Symbol dafür, dass selbst nach Jahrzehnte langer Besatzung und Unterdrückung immer jemand aufsteht, um gegen dieses Unrecht zu kämpfen. Am 07.10 habe ich gesehen, wie hunderte Palästinenser über die niedergerissene Mauern der Besatzung rannten. Das hat mich inspiriert.

Ich habe gesehen, wie Palästinenser teilweise das erste Mal in ihrem Leben, teilweise zum ersten Mal seit Jahrzehnten, das Land, aus dem sie oder ihre Eltern vertrieben worden sind betraten. Ich habe Kinder gesehen, die auf verlassenen Panzern saßen und lachten, auf den Panzern, die dazu beitrugen, ihr Gefängnis zu bewachen.

Ich habe Menschen mit Hoffnung und Freude gesehen und das nicht, weil Zivilisten gestorben sind, sondern weil sie aus einem Gefängnis ausgebrochen sind. Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatten Luft zum Atmen zu haben. Was ich sah, war Widerstand gegen unrecht und somit eine Inspiration. In einem freiheitlichen Rechtsstaat wünschte ich mir einen öffentlichen Diskus, bei dem ich meine Meinung zu dem Widerstand der Palästinenser gegen das Ihn angetane Unrecht äußern zu können, anstelle dass ich mich vor Gericht aufgrund meiner abstrakten politischen Äußerung für die Billigung konkreter Taten verteidigen muss.

Am 13.10 war ich anwesend an einer friedlichen Pressekonferenz, welche mit polizeilichen Maßnahmen repressiert wurde. Es durfte nicht öffentlich gegen einen sich anbahnenden Genozid demonstrieren. Wir wurden mit Repression bedroht und eingeschüchtert. Wenn auch nur mit ein paar Worten, wollte ich mit meinen spontanen Äußerungen gegen dieses Unrecht, gegen die Repression, Widerstand leisten.

Die politische Positionierung zugunsten Palästinas und des palästinensischen Widerstands, gegen Besatzung und Vertreibung, ist kein krimineller Akt. Die Einschätzung des 7.Oktober als Akt der Befreiungsbewegung der Palästinenser aus einer brutalen Besatzung ist nicht kriminell, sondern entspricht den historischen Tatsachen. Vor Gericht sollte nicht ich, sondern sollten die Unterstützer und Befürworter des Genozids an den Palästinensern stehen. Ich verteidige das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und damit unsere demokratischen Grundrechte. Der Versuch der Kriminalisierung soll mich einschüchtern, aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich bin ein Teil dieser Gesellschaft und habe das Recht, politisch öffentlich meine Positionen zu vertreten. Gerade weil sie sich in direkter Opposition zu Regierung und Medien stehen, habe ich dieses Recht und gerade deshalb muss es geschützt werden.

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